Lebenszeiten

Der Anfang

Dann wenn alles gut gegangen ist
wenn der kleine Mensch
das kleine Kind
in die Arme genommen
und begrüßt werden kann
dann ist das Leben voller Hoffnung
voller Freude und Zuversicht
und dem Himmel sei Dank
wenn das Kind von guten Menschen
umsorgt werden kann
von Menschen auf die es
ganz und gar angewiesen ist
von denen es abhängig ist
denen es ausgeliefert ist
in seiner Kleinheit
wenn es weiter begleitet wird
von Menschen die ihm jederzeit beistehen
und wenn es an der Hand genommen wird
damit es mit frohem Mut wachsen kann
und lernt dem Leben zu vertrauen
dann ist Hoffnung gesät


Jugendzeit

Jetzt wachsen neue Kräfte im Körper
der sich selber jeden Tag verändert
der neu und stark wird
das Wissen nimmt zu
immer mehr lernen
der Geist wird erweitert
Erfahrungen kommen hinzu
Neues erleben
Pläne schmieden
vorankommen
ausprobieren
erste Freundschaften schließen
erste Liebesgefühle haben
Enttäuschungen erleben
trotzdem nicht aufgeben
weiterkommen wollen
oder alles hinwerfen wollen
aber hoffentlich trotzdem
seinen eigenen Weg finden
hoffentlich nicht allein gelassen
bei diesem abenteuerlichen Prozess
hoffentlich von guten Freunden
von guten Menschen begleitet
in aller Freiheit


Erwachsen sein

Im Zenit des Lebens angekommen
nun sind die Kräfte gebündelt
alle Möglichkeiten stehen bereit
die wichtigsten Ziele sind erreicht
das was erstrebt wurde
das was erreicht werden sollte
ist vielleicht gelungen
Zeit zum dankbar sein
es sich gut gehen lassen
das Leben genießen
neues Leben begleiten
Freundschaften pflegen
anderen Menschen beistehen
es kann auch anders gehen
Unglück kann Einzug halten
das Zusammenleben
kann schwierig werden
der Partner sich neu orientieren
die Kinder befremdende Wege gehen
wenn Krankheiten das Leben abbremsen
wenn eine Herausforderung
nach der anderen kommt
die Probleme erdrücken
die Hoffnung schwindet
wohl dem der Kräfte sammeln konnte
und versucht weiter zu leben
zu kämpfen


Herbstzeit

Eine goldene
eine farbenfrohe
eine gesättigte Zeit
Jetzt kann von dem Erkämpften
dem Erworbenen
und dem Gelebten
die Ernte eingefahren werden
wenn es gut geht
die Herbstzeit kann gleichsam
eine Wiedergutmachung eine Befriedigung
von früheren Schwierigkeiten sein
zugleich können noch einmal
Weichen gestellt werden
vielleicht können manche Probleme
doch noch gelöst werden
oder es werden Lösungen
für vorher Unlösbares gefunden
wenn jetzt nicht aufgearbeitet wird
was in Brüche gegangen war
wenn nicht jetzt
wann dann
es ist die letzte Zeit
für letzte Möglichkeiten


Winterzeit

Nicht jeden
bewahrt der Hügel vor dem Winter
am Leben bleiben und alt werden
kann ein Geschenk
eine Gnade sein
wenn der Körper fähig bleibt
wenn das eigene Leben
in den eigenen Händen bleiben kann
wenn wir es weiter selber gestalten können
auch wenn vieles mühsam wird
wenn wir nicht in Einsamkeit versinken
wenn wir nicht allein gelassen werden
nicht in Vergessenheit geraten
bei unseren Nächsten
wenn wir von Menschen umgeben bleiben
Menschen mit denen uns viel verbindet
Menschen die uns nahe standen
die uns lieb waren
die uns lieb geblieben sind
mit denen wir viel erlebt haben
die uns immer wichtig waren
die uns wichtig geblieben sind
für die auch wir wichtig sind
dann ist alt werden ein Segen
bis zu unserem Abschied
von dieser Welt
von diesem Leben

nos cahiers 3/2019

Karin Jahr

Totes Schweigen

Es waren geballte Worte
gut überlegte
gezielt abgeschossene
es waren Worte
die verletzen sollten
die dich treffen sollten
mit denen ich mich rechtfertigen wollte
mit denen ich mich reinwaschen wollte
nach meinen schlimmen Worten
war plötzlich alles gesagt
nur noch
totes Schweigen
zugeschnürte Wortlosigkeit

nos cahiers 4/2018

Karin Jahr

Damals
Du hattest damals
mit all deinen Kräften
gegen alle Schwierigkeiten
trotz aller Widerreden
etwas aufgebaut
du hast tausend Steine
die dir in den Weg gelegt wurden
weggeräumt
oft ganz alleine
du hast dich mit Widersachern
herumgeschlagen
bis du es geschafft hattest
bis es vollendet war
du hast dein Werk
aus der Taufe gehoben
es war gelungen
es war zu einer
wichtigen Sache geworden
doch später
als du dein Werk
weitergegeben hast
in vertraute Hände
wurdest du schnell vergessen
man konnte sich nicht mehr erinnern
gleichsam
als wäre alles
von alleine gewachsen
damals

nos cahiers 4/2018

Karin Jahr

Aus der Bahn geworfen
ich begreife nicht
ich verstehe nicht
das kann nicht sein
das gibt es nicht
ich erstarre
es zieht mir den Boden weg
meine Stimme versagt
meine Gedanken sterben
es ist mein Ende

nos cahiers 4/2018

Karin Jahr

Friede

Wenn alles gesagt ist
wenn es keine Worte mehr braucht
wenn Ruhe einkehrt
wir gelassener werden
wenn du mich in deine Arme nimmst
und in das andere Land trägst
in das Land ohne Grenzen
ohne Ängste
ohne Schrecken
dort in dem fernen Land
werden uns Kräfte wachsen
wir werden wieder stark werden
Hoffnung wird kommen
und das Leben kann
Auferstehung feiern

Karin Jahr

Eisige Fassaden

Es verfolgt mich
wie kann das geschehen
junge Menschen
kaltblütig
zu benutzen
zu verführen
zu beeinflussen
fest zu halten
ich kann es nicht fassen
wie verformt
umgeformt
fremd
sie werden können
unbeweglich wie
eisige Fassaden

Karin Jahr

Recht bekommen

Ich wünsche mir mein Recht
ich will Genugtuung
ich kämpfe darum.
Geht es nicht um viel,
dann bekomme ich mein Recht,
denn, dann ist man mich los,
dann hat man seine Ruhe -
vor mir.
Ganz anders, wenn es um viel geht,
dann sieht das Recht anders aus,
und von hundert Zeugen
hat keiner etwas gesehen,
blind, taub,
gerade eigentlich nicht dagewesen.
Und die Freunde?
Vor Gericht kommen?
Etwas gesehen haben sollen
zu etwas Stellung nehmen sollen
das hält keine Freundschaft aus.
Und andere, warum sollen andere
sich erinnern?
Damit ich Genugtuung bekomme?
Warum ist das wichtig?
Für einander einstehen?
Aber bitte doch nicht so,
so vor Gericht!
Zivilcourage?
Aber doch nicht wegen so etwas.

Ich bin ein David
und versuche gegen Goliath
zu kämpfen
gegen einen Starken
einen Mächtigen
eine Kirche
eine Versicherung.
Warum tu ich das?

Karin Jahr

Sind sie nicht selber schuld
Belassen sie nicht ganz gerne
ganz bequem
ganz selbstverständlich
alles beim Alten
Haben Frauen nicht
sehr wohl etwas davon
wenn sie nicht in die
böse Welt hinaus müssen
wenn sie in den warmen vier Wänden
bleiben können
wenn sie sich nicht
mit Kollegen ärgern müssen
nicht in den Kampf
um ein Weiterkommen einsteigen
und kämpfen müssen
Kämpfen
das haben die Frauen
nicht gelernt
Von Mutter und Großmutter
lernten sie
immer recht lieb sein
immer recht geduldig
immer verständnisvoll
für die Familie
doch nie für sich selber

Aber Lust an der Leistung
Spaß am Weiterkommen
Genuss bei Erfolg
keine Angst vor Kämpfen
wo konnten Frauen
das lernen

Karin Jahr

Wer ein junges leben
für sich benutzt
ausnutzt
beschneidet
einengt
verbiegt
umbiegt
verformt
verführt
wer kann das
entschuldigen

Karin Jahr

frauenarbeit
sklavenarbeit
immer arbeit
nicht geachtet
nicht anerkannt
nicht geschätzt
nicht bedankt
ist selbstverständlich
wird eingefordert
wird verlangt
wird von den frauen getan
als lebensaufgabe
als lebenssinn
immer für andere da sein
warum
wer hat ihnen das beigebracht
warum haben sie das verinnerlicht

Karin Jahr

allein leben mit kindern
schließt nicht nur
allein erziehen
allein entscheiden
allein suchen ein
es heißt auch
ohne partnerschaftliche hilfe
immer wieder aufs neue
kraft aufbringen müssen
kraft für die kinder
aus der eigenen einsamkeit
aus der eigenen zerbrochenheit

Karin Jahr

Warum habe ich mich quälen, lassen
mich anschreien
mich schlagen lassen
Warum habe ich eheliche Pflichten erfüllt
Weil ich mich aufopfern wollte
Weil ich versuchte eine gute Frau zu sein
Eine gute, eine christliche Frau
die für die andern da ist
die sich selber verleugnet
die ihr Leben aufopfert
der man zum Muttertag einen Blumenstrauss schenkt
Nein und nochmals nein
Heute bin ich erwachsen
heute fange ich an zu begreifen
was Leben heisst
jetzt erkenne ich dass mein Leben
wichtig ist
Wenn mich jetzt einer anschreit
habe ich Worte bereit
wenn mich jetzt einer schlagen will
werde ich auf der Hut sein
wenn jetzt einer von mir Liebe verlangte
und wäre er mir kirchlich angetraut
liesse ich mich nicht anrühren
denn Liebe kann man nicht verlangen
Ich bin eine Frau
ich bin ein Mensch
ich wurde wie ich glaube
von Gott geschaffen ganz persönlich

Karin Jahr

Ich bin eine Frau
und heute bin ich erwachsen
Ich fange an zu begreifen
was Leben heißt
jetzt erkenne ich dass mein
eigenes Leben wichtig ist
jetzt sehe ich Dinge
die ich tun kann
Möglichkeiten
die mir offen stehen
Die Zeit ist vorbei
in der ich mich anschreien ließ
die Zeit ist vorbei
in der ich mich quälen ließ
in der ich versuchte
nur Pflichten zu erfüllen
eine gute Frau zu sein

Karin Jahr

0 nein wir Frauen sind anders
Man unterschätzt uns
wir unterschätzen uns
der Mann unterschätzt uns
die Politik unterschätzt uns
die Kirche unterschätzt uns
Oder haben sie Angst vor uns
Angst davor dass unsere
Stärke bedrohlich sein könnte

Karin Jahr

Noch immer
haben Frauen es schwerer
noch immer
ist es nicht selbstverständlich
Mädchen gleiche Ausbildungschancen
zu geben
gleiche Förderung zu teil werden zu lassen
gleiche Unterstützung zu geben
und später im Beruf
Frauen müssen es noch immer
besser machen
müssen sich mehr anstrengen
mehr leisten
nicht nur während Schwangerschaft
und Beruf
während Beruf und Kleinkinderversorgung
Frau muss immer cool flott
und perfekt bleiben
darf nie Müdigkeit und Sorgen zeigen
soll zugleich schön und attraktiv sein
und noch immer werden Frauen
schlechter honoriert
bekommen weniger Aufstiegschancen
trotz Gleichberechtigungsklauseln
trotz Frauenministerium
In fernen armen Ländern
gibt es aber auch Frauen
die aufstehen die kämpfen
die Ideen haben
die sich nicht mehr unterdrücken lassen
die keinen Schleier mehr tragen wollen
die das Leben in ihre Hände nehmen
Traurig ist es für Frauen unserer Kirche
hier haben Frauen keine Chancen
keine Gleichberechtigungschancen
nur schöne Kirchenmännerworte und
schöne Reden von Frausein in der Kirche
von Frauenwichtigkeiten in der Kirche
so wie frauenängstliche Kirchenmänner
es sich vorstellen es sich wünschen
in der Kirche werden Frauen wohl
auch weiterhin in ihrer Frauenecke
sitzen bleiben müssen
wenn sie das so wollen

Karin Jahr

Je vielseitiger die Jugend
jetzt informiert und
je tiefgreifender sie
sensibilisiert wird
umso engagierter und weitsichtiger
kann sie später einmal leben
Damit sie Realisten sein können
ohne dabei zu resignieren
damit sie Idealisten werden
ohne Schwärmerei
Wir brauchen noch
handfeste Phantasten

Karin Jahr

und noch einmal
macht euch keine Sorgen
zum wiederholten
und letzten mal
macht euch keine sorgen
ich aber mache mir sorgen
ich höre das weinen
des kindes
unter seinem schluchzen höre ich
sie zwingen mich
ich kann nicht hören wozu
aber es zerreißt mir das herz
wer hilft uns

Karin Jahr

Manchmal spielen wir schwarzer Peter
Brauchen wir einen Schuldigen
schieben wir ihm den schwarzen Peter zu
Oder wir spielen böser Jude
wir können auch böser Italiener
böser Portugiese
böser Zigeuner
böser Schwarzer
böser Anderer spielen
Wir sind den schwarzen Peter los
Wir sind frei gut
und im Recht
Schuld ist der böse Fremde
der Irgendwer
nicht wir
nicht ich

Es ist so schwer die eigenen
schwarzen Punkte
einzugestehen
sie nicht zu vertuschen
sie nicht zu entschuldigen
nicht zu erklären

Auch ich mache Fehler
so wie Du
und ich brauche sie keinem anderen
in die Schuhe zu schieben

Karin Jahr

Aus einer
für alle bequemen
allen gefallen wollenden
es jedem recht machen wollenden
aus einer
leicht zu handhabenden
angepassten
unproblematischen
immer nur
an die anderen denkenden
vor allem nie schwierig
sein wollenden
wurde eine andere
Sie wurde unbequem
Sie war nicht mehr bereit
alles für andere zu tun
sich für andere aufzuopfern
Sie wurde ärgerlich
wenn sie hintergangen wurde
wütend wenn ihr
Ungerechtigkeit begegnete
sie lernte auch
an sich zu denken
sich beachten zu können
sich lieben zu können
Sie war gesund geworden

Karin Jahr

Ich will nicht mehr
Blumen zum Muttertag
Küsschen zum Abschied
Jetzt erkenne ich dass mein
eigenes Leben wichtig ist
dass ich wichtig bin
Wenn mich jetzt einer anschreit
werde ich Worte bereit haben
wenn mich jetzt einer schlagen will
werde ich auf der Hut sein
Ich bin eine Frau
und heute bin ich erwachsen

Karin Jahr

Wann werden wir Frauen aufhören auf den Mann
fixiert zu sein
Wann werden wir unsere handgestrickte
Bequemlichkeit ablegen
Wann werden wir aufhören tugendhaft zu sein
nicht mehr anmutig
niedlich
hold und jungfräulich
zierlich und lieb
für den Mann wie es sich schickt
Wann werden wir anfangen Persönlichkeit zu sein
ein eigenes Ich
ein selbständiger Mensch
mit eigenen politischen Entscheidungen
nicht dem Ehemann angepaßt
mit eigenen Glaubensentscheidungen
mit beruflichem Elan
mit pädagogischen Einfällen
mit schöpferischen Gedanken
mit neuem Tun
Wann werden wir Frauen
endlich erwachsen sein
Die Welt braucht dringend
mutige Frauen mit Persönlichkeit

Karin Jahr

Warum denn verharren die Frauen
noch in der Kirche
Warum lassen sie es zu
daß sie noch immer die
lieben guten hilfreichen
Helferinnen sind
Und die Macht Herrschaft
und Herrlichkeit
gehört den Männern
Heute ist die Frau politisch
gleichberechtigt
sie ist gleich vor dem Gesetz
sie hat die gleichen Rechte
und die gleichen Pflichten
Sie hat die gleichen Möglichkeiten
Nur die „Mutter" Kirche
sie ist nicht für Gleichheit
Ist es nicht Frauenfängerei
wenn Kirchenväter lautstark erklären
sie setzten sich für die Rechte der Frauen ein
Einsetzen damit die Frauen dabei bleiben
damit sie sich Hoffnungen machen
damit sie die Arbeiten tun
die Männer nicht tun wollen
damit sie die Kirche füllen
Immer jedoch heißt es
Bis hierher und nicht weiter

Karin Jahr

Sind nicht auch heute noch
viele Frauen ans Haus und
an den Herd gebunden
Warum ziehen sie sich still und ruhig
ins Privatleben zurück und
begrenzen ihren Lebensraum
während das Leben ihn
in die Welt
in die Öffentlichkeit
in den Kampf wirft
Solange die Frau zufrieden ist
erlebt sie es als gut und richtig
Aber wehe die heile Welt bricht zusammen
wenn der Mann eine andere Partnerin findet
wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen
oder die Kinder problematisch werden
dann wird es schlimm für die behütete Frau
Plötzlich muß sie lernen
zu kämpfen
zu überleben
sich durchzusetzen
Sie spürt ihre Kräfte wachsen
darf kein „Dummchen" mehr sein
sie wird vielleicht Isolierung
durchbrechen können und nicht mehr
Frau
Mutter
Tochter
Haushälterin von.... sein.
Sie wird SIE sein
eine eigenständige Persönlichkeit
die sich dem Leben und der Welt stellt
hoffentlich

Karin Jahr

Angst lässt uns aufrüsten
Angst lässt uns nachrüsten
Angst lässt uns neu rüsten
Da stehen wir dann da mit unserer Angst
und mit unseren Waffen
Wir pokern um das Leben
Wir pokern nicht etwa privat
wir pokern viel höher
wir pokern um alles Leben
Wir setzen den höchsten Einsatz
wir setzen unser aller Zukunft
wir setzen unsere Kinder und Kindeskinder
wir setzen alles was je von Menschen
geschaffen wurde Kunst und Kultur
Ja wir pokern um alles
wir setzen unsere Erde
alles was gewachsen ist
das Leben der Tiere Bäume Pflanzen
wir pokern um die Schöpfung
Wir sind die Herren der Schöpfung
Aber wir pokern mit Angst
Wir fürchten die Karten des andern
Angst beim Pokern
Ein einziger neurotischer Spieler genügt

Karin Jahr

Wieviel Angst muß hier und dort
bei religiös fanatischen Männern
verborgen sein!
Angst um ihre Machtpositionen,
aber auch Ängste ihrer eigenen
unverarbeiteten
verdrängten
unterdrückten
pervertierten
lieblosen Sexualität
wenn sie Frauen auspeitschen lassen
weil sie am Meer badeten,
wenn sie Frauen wieder in dichte Tücher hüllen
und ihre Gesichter verschleiern lassen,
wenn sie jeder Frau den Zugang zu Macht
und Verantwortung untersagen,
wenn sie Gebote aufstellen - und diese
mit schönen Worten rechtfertigen wollen -,
daß Frauen und Mädchen schön brav und lieb
im Kämmerlein bleiben, wo sie den Hern Mann
verwöhnen und ihm Gutes tun sollen.
Nur nicht der "Versuchung der Freiheit erliegen ... "
(ein Jesuit im LW "zum nachdenken")
Als Frau in unserer Kirche
muß ich entweder kämpfen
oder mich unterdrücken lassen
oder gehen.

Karin Jahr

Familie
Keimzelle
Anfang des Lebens
Ort des Lernens
Familie sollte auch Ort für Geborgenheit
für Gemeinsamkeit sein
Hier könnte Vertrauen erlebt werden
Wie oft aber ist Familie
ein Ort der Kälte des Streitens
ein Sichbekämpfen
ein Ort des Leidens des Erduldens
des Ertragens
ein Ort für Resignation
und Traurigkeit
In diesem engen Raum kann alles geschehen
Mann kann Frau schlagen Tochter missbrauchen
Frau kann zusehen ohne etwas zu unternehmen
aus Angst Bequemlichkeit Stagnation Resignation
Es kann sein wie ein Teufelskreis
ohne Ausweg
In der Familie lernen die Kinder das Leben
Sie erleben einen Trinker Schläger Randalierer
Gewalttäter Verführer oder einen braven ängstlichen
einen stressigen tüchtigen oder friedvollen
lustigen humorvollen zuverlässigen Vater
Sie erleben eine abgerackerte stille untertänige
eine emsige fleißige immer beschäftigte
oder eine kalte herrschsüchtige klammernde
vielleicht eine fröhliche lebenslustige Mutter
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© Karin Jahr

Karin Jahr

Frau pass auf
dass du nicht aufgesogen wirst
dass du nicht ausblutest
dass du dich nicht
bis zum Letzten verausgabst
dass du dich nicht auf einmal
leer und matt fühlst
sorge für dich
denke zu allererst an dich
an dein Wohlergehen
nur so kannst du überleben
mehr noch
nur so kannst du
auch anderen geben
trau dich
Frau

Karin Jahr

verfluchter gehorsam
verfluchtes treusein
ich werde festgenagelt
gezwungen
überredet
verpflichtet
verführt
eingeschworen
zu gehorchen
folgsam zu sein
befehle zu erfüllen
ich darf nicht mehr
auf mich selber hören
nicht mehr nach meiner
meinung entscheiden
ich hab mich fesseln lassen in
treue und gehorsam

Karin Jahr

Ein Gespenst kommt in meine glückliche Stunde
es schleicht sich hinein
ein Gespenst in meinem Sinn
es ist frech
und aufdringlich
es stiehlt mir meine glückliche Stunde
es nistet sich ein in mein Herz
und ich bin ganz machtlos
ich kann nichts dagegen tun
Das böse Gespenst raubt mir
meine gute Stunde
mein Atem geht schneller
Warum kommt es mich zu quälen
wie ein schwarzer Vogel

Karin Jahr

Ist die Angst nicht wie ein Ungeheuer
das sich in unser Herz schleicht
wie eine Krankheit die lähmt
schmerzt und abtötet
Angst macht das Leben schwarz
Angst macht aus Liebe Leid
Angst macht hoffnungslos
Angst lässt Kriege anfangen
Angst tötet Leben
Angst frisst Menschen auf
Wer hilft uns Ängste abzubauen
Wer hilft uns Ängste zu überwinden
Wer schenkt uns Hoffnung

Karin Jahr

die zeit heilt
wer sagt denn so etwas
es wird mit jedem tag
schlimmer

Karin Jahr

und noch einmal
macht euch keine Sorgen
zum wiederholten
und letzten mal
macht euch keine sorgen
ich aber mache mir sorgen
ich höre das weinen
des kindes
unter seinem schluchzen höre ich
sie zwingen mich
ich kann nicht hören wozu
aber es zerreißt mir das herz
wer hilft uns

Karin Jahr

davon laufen können
es einmal loswerden können
befreit werden
von dieser qual
von diesem fluch

Karin Jahr

gegen verschlossene türen rennen
nicht eingelassen werden
draußen bleiben müssen
nicht dazu gehören
so ist es jedenfalls bequemer
den lieben
den guten
diesen anderen
diesen besserwissern
und alleskönnern

Karin Jahr

Der Schmerz schnürt mir den Hals zu
drückt mich nieder
ich lege meinen armen Körper auf die Erde
und meine Tränen finden kein Ende
Mein Schmerz ist so groß
Ach könnten meinem Schmerz nur Flügel wachsen
dass er fliegen lernt

Karin Jahr

was habe ich euch getan
warum konntet ihr euch so abwenden
eure gefühle abtöten
die gemeinsame vergangenheit
vergessen machen
war alles nur trug
nicht wahr
nur gespiele
einfach so
es war ja bequem
vielleicht auch angenehm
plötzliche gefühlskalte
interesselosigkeit
nie hätte ich das erwartet
ich wäre für euch durchs feuer gegangen
damals

Karin Jahr

leben mit einem
messer in der brust
jede minute dieser schmerz
diese verletzung
diese unbegreiflichkeit
verzweiflung
hoffnungslosigkeit
hilflosigkeit
wird jetzt feindseligkeit
in mir wachsen

Karin Jahr

In den letzten Tagen hörte ich oft die Worte
Ich hasse diese Feiertage
Gut daß ich in diesen Tagen arbeiten muß
Wären nur diese Feste gut vorbei
Ich nehme Schlaftabletten um diese Tage
durchzuschlafen
Es ist als rissen in diesen Tagen
all unsere Wunden auf
als hielten sie uns unsere Qualen
besonders deutlich vor Augen
alles Erhoffte und Nichterfüllte
alles Bruchstückhafte
alles Versäumte
alles Verdrängte
Zerquälte
Entbehrte
Der Ruf zur Freude
gleicht unserem Ruf
nach Geborgenheit und Herzensfrieden
nach dem sich wohl alle Menschen sehnen
an hohen Festen mehr denn je

Karin Jahr

gegen verschlossene türen rennen
nicht eingelassen werden
draussen bleiben müssen
nicht dazu gehören
so ist es jedenfalls bequemer
den lieben
den guten
diesen anderen
diesen besserwissern
und alleskönnern

Karin Jahr

Ich habe Hunger nach Brot
nach Arbeit
nach Anerkennung
nach Genugtuung
ich hungere nach Wissen
nach Erfahrung
nach Leben
mich hungert
nach Liebe
nach Verstandenwerden

Karin Jahr

Ich ertrinke in meiner Angst
ich versinke in meiner Traurigkeit

Karin Jahr

Wenn Du der Vater im Himmel bist
warum siehst Du dann nicht wie ich leide
Warum lässt Du mich in dieser Dunkelheit verzweifeln
Warum öffnest Du mir nicht die Augen
Warum gibst Du mir kein Zeichen
Ich lebe in großer Verzweiflung
ich bin hungrig allein blind und verzagt
Wem soll ich glauben und vertrauen

Karin Jahr

Deutsche Männer
deutsche Söhne
was suchten die
an dem stillen Wolgastrand
auf dem Mamaihügel
Was trieb diese Menschen
über Hunderte
ja Tausende Kilometer weit
in Feindesland
Was hatten ihnen diese
einfachen stillen freundlichen
Menschen dort getan
dass man sie rechts und links
wie Vieh abknallen konnte
liquidieren konnte
Welcher Wahnsinn
Welche Verknotungen im Denken
Ich stehe
auf diesem blutdurchtränkten Boden
und die Verzweiflung
kriecht in mir hoch
Verzweiflung über uns Menschen
Angst vor unserem Tun

Karin Jahr

auf meinen müden schultern
meinen alten schultern
eine zentnerlast
es zermartert mein gehirn
beim einschlafen
beim erwachen
kein erbarmen
keine hilfe
oh mein gott

Karin Jahr

oft schon wusste ich nicht weiter
kannte keinen nächsten schritt
hatte keine möglichkeiten
war eingemauert
von starrsinn
in abhängigkeiten
zögerlichkeiten
ängstlichkeiten
wer öffnet türen
wer zeigt neue wege
damit leben möglich wird

Karin Jahr

die guten zeiten
sind vorüber
eben noch glaubte ich
die schlimmen
qualvollen
einsamen
die hoffnungslosen zeiten
wären vergangenheit
es kamen
die frohen
harmonischen
die vollen
gesunden zeiten
zum frohsein
zum gut leben
aber jetzt
wieder trauer
verzweiflung
und tränen

Karin Jahr

krasse undankbarkeit
es wird dir nichts helfen
wegzuschauen
als könntest du den
der dir leben ermöglicht hat
dich getragen hat
umsorgt hat
versucht hat zu schützen
einfach wegwischen

Karin Jahr

Tiefer Abgrund
graue Leere
keine Formen
Nebel Müdigkeit
um mich herum
Es lastet auf mir
schwer wie der Erdball
meine Schultern kraftlos
mutlos wortlos
Ich versuche zu sprechen
aber meine Stimme
ist Flüstern
hat keinen Klang
strengt mich unsäglich an
Dort draußen läuft
eine andere Welt
fremd laut schmerzend
Bei mir ist
Alleinsein Verlorenheit
Traurigkeit Lebensunfähigkeit

Karin Jahr

schrei wenn du kannst

wenn der schmerz an dir nagt
wenn die dunkelheit dich verschlingen will
schrei es zum himmel
wenn du kannst
wenn die welt sich um dich dreht

wenn du nicht mehr begreifst
schrei
wenn du nur noch stückwerk erkennst

schrei deine qual zum himmel
schrei deinen schmerz in die welt
wenn du kannst

Karin Jahr

lieblos
hatte ich gesagt
nein
es ist
herzlos
mehr noch
gefühllos
oder ist es schon
böse
bösartig
gemein

Karin Jahr

die zeit heilt
wer sagt denn so etwas
es wird mit jedem tag
schlimmer

Karin Jahr

Wer es nicht selber erlebt hat
wer nicht selber auf der Flucht war
wer nicht selber alles zurücklassen musste
alles was ihm lieb war
wer nicht erlebt hat was es heisst
in der Fremde sein
bei fremden Menschen
mit einer fremden Sprache
wie soll er wissen was es heisst
angewiesen zu sein auf die Hilfe anderer
angewiesen auf die Güte anderer
abhängig
wer nie ohne Heim war
wer nie auf der Flucht war
wer es nicht selber erlebt hat
wie soll er es wissen

Karin Jahr

du kannst davor nicht flüchten
es wird dir folgen
wie ein schatten
du wirst es nicht mehr
loswerden
schon hat es sich festgebissen
auf deiner haut
und es frisst sich
immer tiefer
unter deine haut

Karin Jahr

Ich bin wohl nicht gemacht für dieses Leben
Die Zweifel verschlingen mich
die Dunkelheit umhüllt mich
Ich sehe die Freude nicht und
die Sonne nicht mehr
Ich bin gesund und stark und doch
weiß ich meine Kraft nicht zu nutzen
Ich habe einen wachen Verstand und
doch finde ich den Weg nicht
Ich sollte dankbar sein und doch
weiß ich nicht zu atmen

Karin Jahr

DANKBARKEIT

ich komme zurück
mein Haus erwartet mich
es ist nicht verbrannt
es ist nicht verwüstet
es wurde nicht bestohlen
ich bin dankbar
ich erwache
ich habe keine Schmerzen
habe keine großen Sorgen
keine schlechten Nachrichten
ich weis es tief zu schätzen
wir haben auch keinen Krieg
wir leiden keinen Hunger
wir haben keine Naturkatastrophen
es geht uns gut
geht es uns zu gut
nein
es war nicht immer so
auch für uns gab es schlimme Zeiten
mit Leiden und Plagen
jetzt haben wir die guten Jahre
und wir sollten nicht vergessen
sie zu schätzen
sie zu genießen
und dankbar zu sein

Karin Jahr

An unserem Ende
werden wir hinübergleiten
oder hinübergezogen
werden wir hinüber wollen
werden wir hier bleiben wollen
an unserem guten Ende
wenn unsere Tage ausgezählt sind
wird es ein gutes Ende sein

Karin Jahr

Wo finden wir die Liebe
Die Liebe die allein die Menschen weiterleben läßt
die alles überdauern kann die kraftvoll und lebendig
bleiben will wie das Leben die aber auch durch einen
kalten Hauch sterben kann wie von einer Krankheit
Wo finden wir Vorbilder für eheliche Liebe in einer
Kirche die so viel von Liebe spricht
Vorbilder die uns ein Leben in dieser Liebe gepriesen
und vorgelebt haben Wo wird in dieser Welt die vor
lauter Zerrissenheit Verunsicherung und Verkommenheit
keine Bindungen mehr wagt ein Kontrapunkt gesetzt

Karin Jahr

Eine neue Saison
das heißt
zurück in den Alltag
zurück zu Gewohntem
zurück zur Belastung
aber auch zur Langeweile
zurück zur Angst
zurück zum Aushalten
zurück zum Bedrücktsein
Jetzt haben wir die Zeiten
von Alltag
kein Krieg
keine Katastrophen
Jetzt haben wir
ruhige Zeiten
Nicht nur die schlimmen Zeiten
brauchen Kraft Alltag braucht Größe
Alltag braucht Durchhaltegeist
braucht Leichtigkeit
Jetzt ist der Alltag
unsere Herausforderung

Karin Jahr

Wir werden immer älter
werden wir auch klüger
immer stärker
werden wir besser
wissender
erfahrener
engagierter
und gelassener
mutiger
froher
versöhnlicher
gewagter
draufgängerischer
Wir bekommen Narben
viele Narben
das ist das Leben
Ich mag meine Narben

Karin Jahr

was muss man machen
um einem jungen menschen
seine lieben
seine ideen
seine werte
seine erfahrungen
seinen glauben
seine hoffnungen
die gewachsen waren
umzudrehen
vertrauensbande
durchschneiden
vertrauensvolle beziehungen
abgewöhnen
wie sollen junge menschen dann leben
können sie noch einmal vertrauen aufbauen
und mit wem
oder bleiben sie für immer
gefangen
wie in einer sekte

Karin Jahr

Brücken bauen
von Mensch zu Mensch
Wenn ich nicht
bei mir selber stehen bleibe
wenn ich aufmerksam
für den anderen bin
wenn ich Vertrauen leben kann
mit den anderen
wenn ich ihn respektieren kann
den anderen
wenn ich von meiner Zeit
von meiner Kraft
von meinem Leben
geben kann
dann baue ich eine Brücke
zwischen uns
zu ihm
aber nicht immer
will ich Brücken bauen
Jetzt habe ich den Mut
nach meiner Entscheidung
Brücken zu bauen
keine Brücken zu bauen
oder Brücken abzureißen
Heute muss ich nicht mehr
der Leute wegen
der Anschauung wegen
immer und überall
Brücken bauen
wollen
müssen

Karin Jahr

Ich lebe bewusst
wenn ich nichts verschlafe
wenn ich wach bin
aufmerksam bin
da bin
Ich lebe bewusst
wenn ich Glück erleben kann
und Schmerz an mich heran lasse
wenn ich meine Talente erwecke
und sie einsetze

Karin Jahr

So manch einer
will alles gut machen
fühlt sich unentbehrlich
gebraucht
getrieben
wird vom Gutsein gehetzt
ist geschäftig
aktiv
überfordert
erschöpft
leergebrannt
Es fehlt uns die Gelassenheit
Wir sollten ruhiger
innerlicher
wesentlicher sein
Aktivistisches Tun
ist nicht viel wert
und hohl
Wir sollten zuerst unsere
innere Fülle
unser inneres Leben
unsere innere Balance suchen

Karin Jahr

wenn dir das gefühl für
gut und böse verloren geht
wenn du nicht mehr spürst
wo dein herz ist
wenn du freundlich
lächeln kannst
während du andere
verrätst
oder
niedertrittst
und dein blick
nicht ausweicht
da wirst du mir so
fremd

Karin Jahr

Auch wenn es heute wieder
nur ein Traum bleibt
auch wenn ich heute wiederum
an meine Grenzen stoße
auch wenn ich heute
keinen Schritt weiterkomme
auf der Stelle trete
im Keise drehe
im Nebel irre
herum taste
wie eine Blinde
will ich nicht aufgeben
werde ich nicht verzweifeln
trotz alledem
glaube ich
hoffe ich
lebe ich

Karin Jahr

die letzten jahre
endlich gute jahre
kein kampf mehr
keine qualen
keine schläge
nicht mehr die großen
anstrengungen
geschenkte zeiten
zum dankbar sein
zum froh sein
das
hattest du geglaubt

Karin Jahr

Es ist an uns
was ich erhalten will sollte ich
wertschätzen
ich sollte es schützen
sollte es beschützen
sollte behutsam damit umgehen
wie mit einem kleinen Kind
sollte es ernähren
nicht hungern lassen
nicht allein lassen
nicht verzweifeln lassen
damit es wachsen kann
wie die Liebe
damit sie wachsen kann
damit sie nicht absterben muss
aber ich muss es tun
denn es fällt nicht vom Himmel
und es wächst auch nicht auf dem Feld
es ist an mir
und an dir

Karin Jahr

dann werde ich an deiner hand
durch die lüfte schweben
und mit dir durch die zeiten gleiten
du wirst bei mir sein
ich werde kein alleingelassen
mehr spüren
deine hand wird alle wunden heilen
meine enttäuschungen werden unwichtig
wie luftblasen werden sie vergehen
dann wird es hell werden um mich
und alles wird gut werden
und bis dahin will ich meine hoffnung
nicht verlieren

Karin Jahr

Was soll das schöne Tönen
von der Liebe
Nichts bringt es uns
Liebe gedeiht durch
Bemühen und Tun
Um den Wert der Liebe wissen
sie beschützen wollen
um sie besorgt sein
Gefahren erspüren
Wenn wir nicht aufgeben
wenn wir fortfahren
uns zu suchen
dann sind wir gerettet
Wenn wir uns nicht in
unser Inneres vermauern
wenn wir unsere Gespräche
nicht aufgeben
nach den richtigen Worten suchen
Ängste sehr ernst nehmen und
Vertrauen aufbauen
dann werden wir Frieden finden
und Flügel werden uns wachsen

Karin Jahr

Was kann eine Beziehung
überleben lassen
Was kann meine Liebe erhalten
wenn ich dabei bin zu verhungern
wenn ich verdurste
wenn ich schöne Worte bekomme
wenn für die anderen doch alles
stimmt bei uns
aber wenn ich selber
dabei zugrunde gehe
austrockne
verzweifle
alleine bleibe
einsam werde
nicht mehr kann
Liebe braucht Geborgenheit
Aufmerksamkeit
Wichtigkeit
Behutsamkeit
Sie muß beschützt werden
wertgeschätzt werden
gehegt werden
gepflegt werden
dann kann sie halten
kann wachsen
kann Leben geben
uns aufblühen lassen
uns stark machen
dann kann sie mächtig sein
ein Fels
und ein Segen

Karin Jahr

Wo finden wir die Liebe
Die Liebe die allein die Menschen weiterleben läßt
die alles überdauern kann die kraftvoll und lebendig
bleiben will wie das Leben die aber auch durch einen
kalten Hauch sterben kann wie von einer Krankheit
Wo finden wir Vorbilder für eheliche Liebe in einer
Kirche die so viel von Liebe spricht
Vorbilder die uns ein Leben in dieser Liebe gepriesen
und vorgelebt haben Wo wird in dieser Welt die vor
lauter Zerrissenheit Verunsicherung und Verkommenheit
keine Bindungen mehr wagt ein Kontrapunkt gesetzt

Karin Jahr

bedingungslose liebe
mit dieser aussage
kannst du dir menschen
angeln
die sich nach
bedingungsloser liebe
sehnen
du glaubst
liebe geben zu können
wie kein anderer
gottgleich
göttlich
auch wenn du
belogen und
betrogen wirst
wenn du gequält
und
nicht zurück
geliebt wirst
glaubst du bedingungslos
lieben zu können
ich aber werde nicht bedingungslos lieben
und will nicht bedingungslos geliebt werden

Karin Jahr

erinnerst du dich
ferienzeit
es waren sonnentage
tage die wir nicht zählten
zeit die zeitlos war
träume in denen wir lebten
leben das wir durchträumten
erinnerst du dich
sonne die auf unsere haut brannte
himmel der vor hitze zitterte
sand der zwischen den fingern zerrann
wir fühlten uns warm und erdverbunden
auch nicht das rinnen des sandes
konnte uns von Vergänglichkeit sprechen

ferienzeit
erinnerst du dich
als wir der dämmerung
entgegentanzten
eng umschlungen die zärtliche kühle
des abends genießend
erinnerst du dich
du sagtest
das leben ist ein geschenk
und die liebe ist unser wunder
erinnerst du dich
deine raue zarte stimme
klingt mir noch in den ohren
oh könnte ich diese tage zurückholen

Karin Jahr

Ich schreie und du hörst mich nicht
du liebkost meinen Körper
du streichelst meine Haut
du bist so zärtlich
du küsst meinen Mund
du bist lieb und sanft
doch du hörst mich nicht
es ist wie ein böser Traum
Mich hungert nach deinem Verstehen
nach unserer Wahrheit
nach Vertrauen zu dir
zu unserem Leben
Ich verhungere
ich sterbe
und du bist zärtlich
zu mir

Karin Jahr

Heute bist du mir so fremd
dass ich gar nicht mehr weiß
wer du bist
Gestern noch warst du
ein Teil von mir
du warst mein Herzschlag
und mein Blut

Karin Jahr

Damals zu jener gesegneten Zeit
konnte ich Dir alles glauben
konnte ich Dir alles sagen
konnte ich alles für uns erhoffen
damals an jenen herrlichen Tagen
war es so leicht
Dich zu lieben

Karin Jahr

Die Liebe könnte für Menschen
ein Fels sein auf den sich das
Leben bauen läßt
Und die Liebe ist wie ein Fels
wenn sie von
Wahrheit
Wahrhaftigkeit
Offenheit
Gradlinigkeit
und von Treue begleitet
nein nicht nur begleitet
sondern getragen gelebt
und ersehnt wird

Karin Jahr

Habe ich meine Tage genützt
habe ich sie verstreichen lassen
war ich träge und verschlafen
wo ich wach und sehend
hätte sein sollen
wo ich hätte handeln sollen
etwas unternehmen sollen
war ich aktivistisch
wo ich doch besser
gelassen hätte sein sollen
habe ich große Aktionen gestartet
wo ich doch besser
die Stunden für mich
hätte nutzen sollen
warum musste ich mich
an manchen Dingen festbeißen
von denen ich meinte
sie machen zu müssen
für wen
und warum
Ich habe auch gekämpft
mich aufgerieben
mich unbeliebt gemacht

Einschreiten oder loslassen
Eine Gratwanderung

Karin Jahr

allein leben mit kindern
schließt nicht nur
allein erziehen
allein entscheiden
allein suchen ein
es heißt auch
ohne partnerschaftliche hilfe
immer wieder aufs neue
kraft aufbringen müssen
kraft für die kinder
aus der eigenen einsamkeit
aus der eigenen zerbrochenheit

Karin Jahr

Nicht stehen bleiben
sonst versinken wir
sonst ertrinken wir
sonst verhungern wir
sonst versteinern wir
sonst sterben wir

Weiter gehen
neue Wege suchen
Holzwege gehen
mit offenen Augen suchen
trotz Unsicherheit
trotz Ängstlichkeit

Wege in die Zukunft sind
ohne Garantie
Wege in die Zukunft sind Holzwege
Holzwege sind neu fremd und notwendig

Karin Jahr

Keinen Raum
kein Platz
nicht willkommen
nicht passend
auf der Flucht
unterwegs
oft nichts gelernt
krank oder verkrüppelt
sie sind angewiesen auf andere
sie können nicht selber für sich sorgen
Für sie ist
kein Raum in der Herberge
aus welchen Gründen auch immer
Sie sind abgewiesen
nicht passend
zu alt
zu jung
zu viele Kinder
zu krank
zu primitiv
angewiesen auf die Hilfe anderer
angewiesen auf die Güte anderer
abhängig
Wer es nicht selber erlebt hat
kann es nicht erfassen
Wer nie ohne Heim
wer nicht auf der Flucht war
wie soll er es wissen

Karin Jahr

unrecht tun
aber es nicht als unrecht erkennen
nicht einsehen können
nicht sagen können
nicht sagen wollen
ich habe mich geirrt
ich bin da hinein geraten
ich war verblendet
habe es nicht durchschaut
habe mich
unter druck setzen lassen
ich hatte angst
keinen mut
ich habe verführern geglaubt
meine freunde verraten
es tut mir leid
ich wünschte
ich hätte anders gehandelt

Karin Jahr

Wenn Weihnachten gelingt
wenn es ein Fest wird
voll Freude Glück
und Zufriedenheit
dann ist das herrlich
Es muß nicht so sein
es kann auch ganz anders aussehen
daß ich krank bin
daß du krank bist
daß mein Leben mich bedrückt
daß ich mich quäle
daß ich gequält werde
daß meine Kinder unzufrieden sind
daß ich allein und einsam bin
Solche und die anderen Feste
erlebt jeder von uns
jedes zu seiner Zeit

Karin Jahr

Familie
Keimzelle
Anfang des Lebens
Ort des Lernens
Familie sollte auch Ort für Geborgenheit
für Gemeinsamkeit sein
Hier könnte Vertrauen erlebt werden
Wie oft aber ist Familie
ein Ort der Kälte des Streitens
ein Sichbekämpfen
ein Ort des Leidens des Erduldens
des Ertragens
ein Ort für Resignation
und Traurigkeit
In diesem engen Raum kann alles geschehen
Mann kann Frau schlagen Tochter missbrauchen
Frau kann zusehen ohne etwas zu unternehmen
aus Angst Bequemlichkeit Stagnation Resignation
Es kann sein wie ein Teufelskreis
ohne Ausweg
In der Familie lernen die Kinder das Leben
Sie erleben einen Trinker Schläger Randalierer
Gewalttäter Verführer oder einen braven ängstlichen
einen stressigen tüchtigen oder friedvollen
lustigen humorvollen zuverlässigen Vater
Sie erleben eine abgerackerte stille untertänige
eine emsige fleißige immer beschäftigte
oder eine kalte herrschsüchtige klammernde
vielleicht eine fröhliche lebenslustige Mutter

Karin Jahr

oft schon wusste ich nicht weiter
kannte keinen nächsten schritt
hatte keine möglichkeiten
war eingemauert
von starrsinn
in abhängigkeiten
zögerlichkeiten
ängstlichkeiten
wer öffnet türen
wer zeigt neue wege
damit leben möglich wird

Karin Jahr

immer besser werden
immer perfekter werden
sich immer schöner
machen
vor allem
immer jung bleiben
und überhaupt
immer und überall bewundert
werden wollen
der Überflieger sein
der King
wir müssen unsere Fähigkeiten
nicht nur nützen
nein
wir müssen sie
optimieren
das Beste aus uns machen
das Beste aus unserem Körper
heraus holen
es im Beruf am weitesten
bringen
nichts unversucht lassen
um uns zu steigern

welcher Wahnwitz treibt
uns eigentlich
auf welcher Rennstrecke
sind wir unterwegs
als ob wir so zufrieden
werden könnten

Karin Jahr

Warum nehmen wir es mit der Wahrheit
nicht sehr genau
Auf wen kann ich mich verlassen
worauf kann ich bauen
wenn ich von allen Seiten und aus tausend Gründen
um die Wahrheit betrogen werde
Hat man sich nicht angewöhnt den anderen
vor der Wahrheit verschonen oder bewahren zu wollen
ihn nicht zu belasten ihm etwas ersparen zu wollen
Diese Rücksicht
Ist es nicht für uns selber bequemer
dem anderen die Wahrheit vorzuenthalten
Ist es nicht die eigene Ängstlichkeit
die eigene Eitelkeit
Man schont sich selber wohl am liebsten
Eine Wahrheit die betrübt ist besser
als eine Lüge die erfreut

Karin Jahr

Gerechtigkeit oder Wohltätigkeit
was ist heute noch immer gefragt
was gibt mir ein gutes Gefühl
was zeigt mich großherzig
großzügig
menschenfreundlich wohltätig
wenn ich meinen Geldbeutel öffne
wann immer gefragt
wenn ich helfe
sammle
organisiere
für karitative Zwecke
wenn ich mich engagiere
und andere dazu animiere
ja, dann stehe ich gut da
dann wird man mich ehren
wird mich fotografieren
wird mir danken
aber für mehr Gerechtigkeit
einstehen
für Gerechtigkeit kämpfen
meine Haut dafür hinhalten
wenn ich in Kauf nehme
dafür angegriffen zu werden
wenn ich nicht geehrt werde
sondern in den Dreck
gezogen werde
von selbstherrlichen Wohltätern
das ist nicht so einfach
nicht bequem und nicht angenehm
aber die Welt braucht Kämpfer
Kämpfer für Gerechtigkeit
gegen Armut
gegen Reichtum

Karin Jahr

Wir müssen einen neuen Lebensstil finden
So wie wir jetzt leben richten wir uns
und unser Leben zugrunde
Aber nicht nur das
Unsere jetzige Lebensart
ist die Ursache für den Tod anderer
vieler anderer
Also anders leben damit andere
überleben
Oder gehören wir nicht zu den
Weltschmarotzern
Dabei wünschen sich die meisten von uns
ein noch
immer besseres Leben Wohlleben
Wenn wir anders lebten könnten andere
nicht nur leben oder überleben
mit einem Weniger an Konsum und
an Eindrücken
könnten vielleicht auch wir glücklicher
leben

Karin Jahr

Das Leben auf den Kopf stellen
Ganz anders sein
Die Werte umdrehen
Kein gieriger Mensch mehr
der alles haben will
der alles an sich rafft
nicht nur Geld Gut
Kapital und Macht
der das Wissen
und das Können besitzt
der sich Freundschaften aneignet
und Liebe haben muss
Nein nicht mehr haben wollen
sondern das Herz ändern und
das habgierige Ich loslassen
Nur so werde ich Mensch
nur so lebe ich
schaue ich
fühle ich
begeistere ich mich
nur so kann ich ganz bei mir sein
und ganz im Leben sein

Karin Jahr

es muss gewachsen werden
wie lange eigentlich noch
wohin eigentlich noch
nur wachstum zählt
stillstand wäre eine
katastrophe
sind wir von allen guten geistern
verlassen
wohin wollen wir noch wachsen
warum können wir uns nicht
begnügen
aus weltsicht
aus weitsicht
aus weisheit

Karin Jahr

solange ich merke
solange ich weiß
dass ich böses tue
dass ich falsch rede
muss ich mich nicht
selber belügen
verdrehen
mir etwas
vormachen
aber
wenn ich anfange
mich in mir selber
zu arrangieren
locker böse sein kann
mir recht geben kann
egal wie ich mich irre
dann bin ich auf
dem weg in
meine hölle

Karin Jahr

Brücken bauen
von Mensch zu Mensch
Wenn ich nicht
bei mir selber stehen bleibe
wenn ich aufmerksam
für den anderen bin
wenn ich Vertrauen leben kann
mit den anderen
wenn ich ihn respektieren kann
den anderen
wenn ich von meiner Zeit
von meiner Kraft
von meinem Leben
geben kann
dann baue ich eine Brücke
zwischen uns
zu ihm
aber nicht immer
will ich Brücken bauen
Jetzt habe ich den Mut
nach meiner Entscheidung
Brücken zu bauen
keine Brücken zu bauen
oder Brücken abzureißen
Heute muss ich nicht mehr
der Leute wegen
der Anschauung wegen
immer und überall
Brücken bauen
wollen
müssen

Karin Jahr

Der Mensch von heute glaubt dieses Leben
die Jugend und die Schönheit festnageln zu können
Aber unsere Welt dieser Körper
dieses Leben sind vergänglich
Es ist gut darüber nachzudenken
Uns ist nur eine Strecke Zeit gegeben
Wir sollten nicht versäumen diese Zeit zu nutzen
sie mit Leben und mit Liebe ausfüllen
Wenn wir mit dem Herzen schauen und weiter suchen
werden wir neue und wichtige Wege
durch diese Zeit finden

Karin Jahr

Wachstum

Wir dürfen nicht stehen bleiben
Müssen immer weiter wachsen
Stagnation wäre gleich
Rückgang
Es muss gewachsen werden
Wie lange eigentlich noch
Wohin eigentlich noch

Egal
nur Wachstum zählt
Ein Stillstand wäre schlimm
Wie eine Katastrophe
Es ist nicht zu begreifen

Sind wir von allen guten Geistern
verlassen
Wohin soll das führen
Wohin wollen wir noch wachsen
Warum können wir uns nicht
begnügen

Begnügen aus Lebensklugheit
Aus Weltsicht
Aus Weitsicht
Aus Weisheit

Karin Jahr

davon laufen können
es einmal loswerden können
befreit werden
von dieser qual
von diesem fluch

Karin Jahr

hast du es vergessen
ein leben lang
habe ich alles für dich getan
war immer für dich da
du warst mein augapfel
immer an erster stelle
wir waren fremd
in einem fremden land
damals
als du mich brauchtest
warst du
voller zärtlichkeiten
zuvielen zärtlichkeiten
bis du mich nicht mehr brauchtest
fallen lassen
abhaken
bis zum nächsten gebraucht werden

Karin Jahr

Ich preise Dich Armut
Du Leichtfüßige
Entlastete
Du Unbeschwerte
vom Reichtum verschonte
Du hast die Chance
Dir treu bleiben zu dürfen
Du musst nichts verteidigen
Du kannst noch erwarten
und erhoffen
Du bist noch nicht überheblich
Du willst Dich nicht über andere
Menschen stellen
nicht über andere herrschen
Du kannst Dich begnügen
Dich muss man nicht toll finden
und bewundern
Nein Du bist nicht eitel
Du brauchst auch keine Rücksichten zu nehmen
auf Anhänger
auf Untertanen
Du hast die Möglichkeit
offen zu bleiben
bereit und empfänglich
Du bist noch nicht satt und träge

Karin Jahr

Der heutige Mensch fürchtet die Ruhe
immer muß etwas laufen
wehe wenn man nichts vorhat
wehe wenn man allein zu Hause sitzt
Mit dabei sein
Leute um sich haben
mit mischen können
Die Unruhe treibt uns von zu Hause fort
etwas erleben
nichts versäumen
dort draußen sind die Menschen
dort draußen ist das Leben
Man läuft im Kreise
man findet nichts
sogar sich selber geht man verloren
Ruhe ist gut
alleine sein ist gut
sich selber finden wäre wichtig
denn nach innen horchen
öffnet Welten

Karin Jahr

den alltag nicht alltäglich
werden lassen
neu sein
wach sein
froh sein
mutig sein
neu beginnen
du bist da
zärtlich sein
heute ist ein ganz
neuer tag
heute
das ist ein geschenk

Karin Jahr

sein tun nicht auch
in frage stellen können
nicht abwägen können
nicht manches mal
umentscheiden können
nur immer mutig
und fest
bei der einen
entscheidung bleiben
egal was kommt
konsequenz ist
nicht immer
eine tugend

Karin Jahr

Enttäuschung
der Verstand bleibt stehen
das Bewusstsein rutscht weg
weiche Knie
leichte Übelkeit
der Magen schwimmt
die Gurgel ist verschnürt
der Kopf dreht noch
torkelndes Zusichkommen
verschwommene bekannte Welt
Aber da spüre ich noch etwas anderes
da kommt eine Ernüchterung
da wächst eine neue Kraft
eine neue Klarheit die wehtut
nein es hat mich nicht umgebracht

Hatte ich denn nicht schon vorher
ein eigenartiges Gefühl gehabt
manchmal
Waren da nicht schon Dinge geschehen
die ich nicht sehen wollte
die ich als unwichtig beiseite
geschoben hatte

Jetzt nach diesem Schlag
bin ich nicht mehr getäuscht
Jetzt sehe ich klar
auch wenn ich noch schwanke

Nie werde ich verstehen
warum Menschen Enttäuschungen
entgehen wollen
andere vor Enttäuschungen
verschonen wollen
Ich möchte keine meiner
Enttäuschungen missen

Karin Jahr

Heute können wir kaum noch als Einsiedler leben
die Zukunft wird dafür sorgen dass wir immer noch
enger zusammenrücken müssen
Dann werden wir uns entweder gegenseitig zerfleischen
und dafür braucht man nicht einmal Krieg oder Waffen
oder wir werden uns gegenseitig das Leben ermöglichen

Also sich gegenseitig das Leben ermöglichen heißt
guten Willens sein
Das bedeutet aber zugleich auch
Stellung zu beziehen
sich zu bekennen
zu ringen
zu kämpfen
für alles Arme
Schwache
Kranke
Unterdrückte

Auf engem Raum zusammenleben unter Ausnutzung
aller Möglichkeiten und Erkenntnisse der noch immer
jungen Wissenschaften von unserem geheimnisvollen
Innenleben
Die Zeit läuft schnell voran

Karin Jahr

Du sagst nicht hier
nicht in unserer Zeit
Du glaubst unter kultivierten
gebildeten Menschen
ist dafür kein Raum
Sei auf der Hut
Sie schlummern nur
bereit aufzubrechen
zu wuchern wie ein Krebsgeschwür
alles zu infizieren
alles zu verschlingen
alles zu zerstören
Wenn Du Deine Ruhe behalten willst
wenn Du neutral bleiben willst
angepasst
gut angesehen
geachtet
dann schaue weg
wenn die Dämonen erwachen
wenn sie Terrain gewinnen
wenn sie aus gut böse
und aus böse gut machen
Aber wenn Du meinst
dagegen aufstehen zu müssen
Wenn Du nicht ja und Amen sagen willst
um darüber zu höhnen
damit Du aufgibst
denn sie wollen Raum gewinnen
sie wollen nicht aufgehalten werden
Sie werden die schönsten Reden benutzen
die glaubwürdigsten Argumente
um Dich unglaubwürdig zu machen
um Dich kaputt zu kriegen
nichts kann sie aufhalten
Aber wisse auch
solange es noch einen Menschen gibt
der ihnen widersteht
solange ist diese Welt
nicht verloren

Karin Jahr

Wohin könnte ich gehen an meinen schlimmen Tagen
Wem kann ich meine Schwere zumuten
Wem will ich mich öffnen
Zu wem kann ich Vertrauen haben
Wer kann mir zuhören
Wer will mich begleiten
will mich an der Hand nehmen
mir Zeit geben
seine Kraft
sein Mitfühlen
Einfühlen
sein Mitdenken
Mitüberlegen
Wem kann ich mich zumuten

Ich fühle mich allein in meiner Not
Ich habe Angst dass andere
mich nicht verstehen
dass ich ihnen zur Last werde
dass sie meine Not nicht ernst genug nehmen
dass zum Schmerz noch Enttäuschung kommt

Wohin könnte ich gehen
wenn ich nicht weiter weiß
wenn meine Kraft vergeht
wenn ich den Ausweg nicht finde
wer kann mich ertragen
wenn ich nicht
mutig
stark und
fröhlich bin

Karin Jahr

es ist wie ein Tanz auf dem Vulkan
jetzt demonstrieren noch Muskelmenschen
schwingen Plakate
rufen Parolen
rotten sich zusammen
sie versammeln nicht nur ihresgleichen
immer mehr Bürger stimmen mit ein
sie rufen die gleichen Parolen
fühlen sich im Recht
fühlen sich mutig
werden immer lauter
haben Angst vor den Fremden
haben Angst
um ihre Frauen und Kinder
um ihr Volk
um ihre Habe oder sonst was
kann nicht sehr plötzlich
aus diesem Züngeln
ein Marschieren im Gleichschritt werden
oder ist es nicht so ernst gemeint
aber
es ist eine Gratwanderung

Karin Jahr

Das Feld den anderen überlassen
andere reden und argumentieren lassen
es selber zu anstrengend finden zu reagieren
und überhaupt was bringt es
wenn ich versuche meine Stimme zu erheben
wenn ich meine kleinen Argumente anbringe
wenn ich nicht die rechten Worte finde
nicht frei laut und sicher reden kann
Was bringt es mir
Was bringt es überhaupt
Ich werde doch nichts ändern
ich strenge mich an
ich bringe mich in die Kritik
ich fordere Gegenrede heraus
dabei bin ich selber unsicher
und überhaupt
ist es nicht besser
fein ruhig zu sein und brav zu leben
Jedenfalls ist es
bequemer ungefährlicher
weniger anstrengend
und Kämpfern geben wir so eine Chance
sie können egal was in die Welt setzen
sie können egal was behaupten
egal was fordern
angreifen
scharfmachen
aufhetzen
je dreister und selbstsicherer
desto erfolgreicher
Wollen wir aus lauter Bequemlichkeit
unsere Welt denen überlassen
die Biss genug haben zu agieren

Karin Jahr

Viele Menschen rund um die Welt
finden keine Arbeit
Tausende von Menschen arbeiten
als wären sie selber 'Maschinen
Weltweites Arbeiterproblem
Man hat kein Patentrezept
für eine Lösung
darum
beginnt mit euren Versuchen
habt Feuer für eure Versuche
seid einfallsreich mit euren Versuchen
laßt nicht nach in euren Versuchen
Nur so werden menschliche Lösungen gefunden

Karin Jahr

Unsere Tage sind gezählt
wir leben auf Abruf
und richten
uns zugleich ein
als könnten wir
für ewig hier bleiben
als könnte uns nichts
geschehen
als wäre
alles nur eine Frage
unserer Tüchtigkeit
unserer Organisation
unserer Klugheit
unserer Umsichtigkeit
aber mit
dem Wissen um das viele
Nichtwissen und
Unberechenbare
und Vorläufige
unseres Lebens
müssen wir leben
und warum
nicht gut damit leben

Karin Jahr

es gibt nur eine wahrheit
auch im wandel der zeiten
die wahrheit unserer zeit
die wahrheit meines lebens

Karin Jahr

Wege in die Zukunft sind immer
ohne Garantie
Wege in die Zukunft sind unbekannte
unbegangene Wege
Ich nenne sie Holzwege
Holzwege sind keine Autostraßen
Holzwege sind Pionierwege
Sie sind neu fremd und notwendig

Karin Jahr

Habgier
Wir haben Hab und Gut
oh wir haben viel
und wollen noch mehr
haben
ehrgeizige Raffer und Haber
Merkten wir wie leer wir werden
innere Armut sich breit macht
Kraft ist dass ich bin

Karin Jahr

Wenn es uns gut geht
in unseren guten Tagen
stöhnen wir da nicht oft
es ist immer dasselbe
langweilig ist es
eintönig nicht zu ertragen
Wenn das alles ist
Abwechslung brauche ich
Aber geht es uns schlecht
dann seufzen wir
wäre ich nur ohne Schmerzen
Hätte ich noch ein Jahr zu leben
Könnte ich mich einmal satt essen
Wäre nur ein Tag ohne Krieg

Müsste ich nicht jeden Tag
um mein Leben zittern
Warum wird uns unser Gutgehen langweilig

Karin Jahr

Das Gutgehen kommt uns schon
zu den Ohren raus
Die Wohlanständigkeit hängt als
passendes Gewand um uns
Die maßvolle Durchschnittlichkeit
umkreist uns
Das Bravsein ist unsere höchste
Tugend
Bei uns gibt es vielleicht
keine Qual
keine Gequälten
keinen Hunger
kein Verhungern
kein Leiden
keine Verzweiflung
keine Katastrophen
Bei uns ist gut sein
Wir haben unseren Teil erreicht
unsere Heiligkeit ist perfekt
Was könnte uns noch Besseres geschehen
Wir haben unseren Teil
Ich wünsche Erlösung
und den Himmel allen
Armen
Kranken
Verzweifelten
Gequälten
Verzagten
Ohnmächtigen
Blinden
Schwachen
Hoffnungslosen

Karin Jahr

Angst lässt uns aufrüsten
Angst lässt uns nachrüsten
Angst lässt uns neu rüsten
Da stehen wir dann da mit unserer Angst
und mit unseren Waffen
Wir pokern um das Leben
Wir pokern nicht etwa privat
wir pokern viel höher
wir pokern um alles Leben
Wir setzen den höchsten Einsatz
wir setzen unser aller Zukunft
wir setzen unsere Kinder und Kindeskinder
wir setzen alles was je von Menschen
geschaffen wurde
Kunst und Kultur
Ja wir pokern um alles
wir setzen unsere Erde
alles was gewachsen ist
das Leben der Tiere
Bäume Pflanzen
wir pokern um die Schöpfung
Wir sind die Herren der Schöpfung
Aber wir pokern mit Angst
Wir fürchten die Karten des andern
Angst beim Pokern
Ein einziger neurotischer Spieler genügt

Karin Jahr

einem jungen menschen
die freiheit nehmen
das freie denken
untersagen
ihn
umpolen
gehirnwäsche
gute argumente haben
glaubhaft
schlüssig
vertrauensvoll sprechen
liebevoll
gutgemeinte
vorschriften machen
was für ein leben

Karin Jahr

nicht lieblos
gefühllos
nur um euch selber kreisend
könnt ihr ruhig das messer zücken
und
zustechen
eisiges nicht fühlen
oder
böse taten

Karin Jahr

Wieder sind Dämonen erwacht
sie machen sich stark
sie sammeln Kräfte
sammeln Gleichgesinnte
sie machen andere zu Gleichgesinnten
sie schweben auf einer Wahnsinnswolke
fühlen sich übermächtig
anders
großartig
nur eines interessiert sie
sie wollen nur noch
für ihre Überzeugung leben
und töten
oder auch sterben
nichts sonst hat einen Wert

sag mir doch einer
was eigentlich läuft in diesen
hirnrissigen Köpfen ab

Karin Jahr

Jetzt hänge ich hier in einem teuren Glasschrank
Ich bin benannt worden klassiert worden
ausgezeichnet worden
Man hat mich teuer erkauft blank poliert
nun rieche ich gut nach Wachs und Oel
neben mir eine Silberplakette
auf der stehen meine Daten
Aber meine Geheimnisse kennt keiner
keiner weiß wieviele Menschen starben
weil eine Kugel durch meinen Lauf raste
keiner weiß daß 256 Beinschüsse meine waren
daß ich 418 Arme traf daß 513 Leiber von
meinen Kugeln zerfetzt wurden
Keiner weiß wie ich nach Angstschweiß roch
und daß mein Kolben einmal einem Feind
den Kopf zerschmettern mußte

Karin Jahr

die bösen geister
die verwirrspieler
die verführer
verdreher
angstmacher
schleichen umher
und
wenn wir nicht wach sind
uns nicht treu sind
nicht konsequent sind
dann überfallen sie uns
wie eine krankheit
und versuchen
uns zu verschlingen

Karin Jahr

das schlimmste ist
kinder
zu verführen
sie können lernen
ein gewehr in die hand zu nehmen
ein buschmesser
zu gebrauchen
sie werden
kein gefühl mehr haben
sie werden
keine verantwortung spüren
sie werden gehorsam
und
kaltblütig
quälen
oder
töten
aber
weh dem
der unschuldige kinder
dazu verführt

Karin Jahr

UND DIE WELT
SCHAUT ZU

Wenn die armen, die abhängigen,
die unterdrückten Kinder
Steine nach ihren Peinigern werfen
wird scharf geschossen.
Eine Grossmacht,
eine Militärmacht,
eine Atommacht
darf man nicht bewerfen
oder demütigen.
Immer brav bleiben.
Manchmal dürfen die Väter gnädig
Sklavenarbeiten machen
oder auch nicht.
Dieses ungehorsame,
unintelligente Volk
besteht doch nur
aus gefährlichen Terroristen.
Sie muss man bekämpfen,
ohne Rücksicht.
Da muss die ganze Sippe bestraft
werden,
muss ins Gefängnis kommen.
Ihr Haus muss dem Erdboden
gleichgemacht werden.
Ja, so kämpft man gegen Widersacher.
Ja, so sät man Hass für Generationen.
So schraubt man die Spirale der Gewalt.
Vergessen ist,
dass diese Täter selber als die
hinterlistige, geldgierige, betrügerische
Rasse galten, die ausgerottet werden
musste.
Auch davon konnten viele Menschen
überzeugt werden,
auch diesen Wahnsinn
hatten viele Menschen geglaubt
und es war Grund genug gewesen,
sie zu töten.
Und die Welt hatte zugeschaut!

Karin Jahr

lieblos
hatte ich gesagt
nein
es ist
herzlos
mehr noch
gefühllos
oder ist es schon
böse
bösartig
gemein

Karin Jahr

erst profitieren
gebrauchen
abzocken
immer wieder
flötentöne anstimmen
schöne augen machen
komplimente
schlimmer
ich liebe dich
ich brauch dich
in der tat
ich lass mich gebrauchen
ausnutzen
kann es nicht lassen
mit dem sorgen und
für die anderen da sein
wann werde ich damit aufhören
was muß mir noch alles
um die ohren fliegen
das mitbekommen von dieser kaltblütigkeit
mein erstarren über die raffinierte bosheit
die sich mir entgegen wälzt
ich werde zermalmt

Karin Jahr

wer hat meine freude so zerstört
wer hat mir das angetan
wer hat mein leben
düster und traurig gemacht
wer hat das getan
wer konnte so was tun

Karin Jahr

ohnmächtig
anderer macht ausgeliefert
nicht selber bestimmen können
tun müssen was andere wollen
was andere befehlen
zusehen müssen
wie ich nicht mehr darf
wie ich nicht mehr kann
niedergezwungen von denen
die am ruder sitzen
und
meiner möglichkeiten beraubt

Karin Jahr

es ist wie ein Tanz auf dem Vulkan
jetzt demonstrieren noch Muskelmenschen
schwingen Plakate
rufen Parolen
rotten sich zusammen
sie versammeln nicht nur ihresgleichen
immer mehr Bürger stimmen mit ein
sie rufen die gleichen Parolen
fühlen sich im Recht
fühlen sich mutig
werden immer lauter
haben Angst vor den Fremden
haben Angst
um ihre Frauen und Kinder
um ihr Volk
um ihre Habe oder sonst was
kann nicht sehr plötzlich
aus diesem Züngeln
ein Marschieren im Gleichschritt werden
oder ist es nicht so ernst gemeint
aber
es ist eine Gratwanderung

Karin Jahr

menschen auseinander bringen
zwist stiften
streitigkeiten herauf beschwören
anklagen erfinden
vor sich selber aber
und
vor der welt
das böse tun
rechtfertigen
zurechtdrehen
als wären es
gute taten
das ist böse

Karin Jahr

ich war ja nur krank gewesen
nun bin ich wieder da
ich liebe euch
bedingungslos
liebt mich auch
ich bin auferstanden
werde wieder ganz groß
oh
da ist keine leise scham
kein leises fragen
kein bescheidenes
anklopfen
vergessen ist
die vergangenheit
vergessen sind
die jahre
der quälereien
der gewalttätigkeiten
der brutalitäten
der lügereien
und
betrügereien
aber
bitte
es war doch nicht ich
es war nur
der böse
alkohol

Karin Jahr

wer ein junges leben
für sich benutzt
ausnutzt
beschneidet
einengt
verbiegt
umbiegt
verformt
verführt
wer kann das
entschuldigen

Karin Jahr

welcher fluch
welcher wahnsinn
ist über sie gekommen
wer gab ihnen
diese hirnrissigen ideen
oder
ist es ein zauber

Karin Jahr

Das Leben auf den Kopf stellen
Ganz anders sein
Die Werte umdrehen
Kein gieriger Mensch mehr
der alles haben will
der alles an sich rafft
nicht nur Geld Gut
Kapital und Macht
der das Wissen
und das Können besitzt
der sich Freundschaften aneignet
und Liebe haben muss
Nein nicht mehr haben wollen
sondern das Herz ändern und
das habgierige Ich loslassen
Nur so werde ich Mensch
nur so lebe ich
schaue ich
fühle ich
begeistere ich mich
nur so kann ich ganz bei mir sein
und ganz im Leben sein

Karin Jahr

Gerechtigkeit oder Wohltätigkeit
was ist heute noch immer gefragt
was gibt mir ein gutes Gefühl
was zeigt mich großherzig
großzügig
menschenfreundlich wohltätig
wenn ich meinen Geldbeutel öffne
wann immer gefragt
wenn ich helfe
sammle
organisiere
für karitative Zwecke
wenn ich mich engagiere
und andere dazu animiere
ja, dann stehe ich gut da
dann wird man mich ehren
wird mich fotografieren
wird mir danken
aber für mehr Gerechtigkeit
einstehen
für Gerechtigkeit kämpfen
meine Haut dafür hinhalten
wenn ich in Kauf nehme
dafür angegriffen zu werden
wenn ich nicht geehrt werde
sondern in den Dreck
gezogen werde
von selbstherrlichen Wohltätern
das ist nicht so einfach
nicht bequem und nicht angenehm
aber die Welt braucht Kämpfer
Kämpfer für Gerechtigkeit
gegen Armut
gegen Reichtum

Karin Jahr

Je vielseitiger die Jugend
jetzt informiert und
je tiefgreifender sie
sensibilisiert wird
umso engagierter und weitsichtiger
kann sie später einmal leben
Damit sie Realisten sein können
ohne dabei zu resignieren
damit sie Idealisten werden
ohne Schwärmerei
Wir brauchen noch
handfeste Phantasten

Karin Jahr

Lernen mich wichtig zu nehmen
meine Gefühle erspüren
meine Wünsche erkennen
meine Sehnsüchte nicht beiseite schieben
meine Ängste nicht unterdrücken
meine Hoffnungen zulassen
mich nicht selber erdrücken
mir Flügel anlegen
und
Leichtigkeit erlernen

Karin Jahr

Ich lebe auch wenn ich Schmerzen fühle
oder verzweifelt bin
Ich lebe
und wenn ich meinen Reichtum verlöre
meine Heimat verlassen müsste
aber nur leben dürfte
Ich lebe
und wenn mir meine Arbeit genommen wäre
und ich keine Hoffnung sehen könnte
Wenn ich nur lebe
Solange Leben da ist
kann neue Hoffnung entstehen
solange Leben da ist
kann sich alles ändern
solange Leben da ist
kann alles gut werden
Ich lebe

Karin Jahr

Wenn ich verzagen will
dann träume ich mir
Menschen die
zugänglich
beweglich
entwicklungsfähig
dem Leben verbunden und
weit blickend sind
Ich denke aus den
Zaghaften
den Gesetzesdenkern
den Unsicheren
den Vorsichtigen
den Starren
wären Kluge
Einsichtige
Weitdenkende
Mutige
Aufgeschlossene
Vorangehende
Engagierte geworden
Keiner kreiste mehr
im engen eitlen leeren
Gehabe
sie wären wesentlich geworden
jung in ihrem Denken
weise in ihrem Tun

Karin Jahr

endlich am ende
des weges zu sein
das wünsche ich mir

Karin Jahr

Du sagst nicht hier
nicht in unserer Zeit
Du glaubst unter kultivierten
gebildeten Menschen
ist dafür kein Raum
Sei auf der Hut
Sie schlummern nur
bereit aufzubrechen
zu wuchern wie ein Krebsgeschwür
alles zu infizieren
alles zu verschlingen
alles zu zerstören
Wenn Du Deine Ruhe behalten willst
wenn Du neutral bleiben willst
angepasst
gut angesehen
geachtet
dann schaue weg
wenn die Dämonen erwachen
wenn sie Terrain gewinnen
wenn sie aus gut böse
und aus böse gut machen
Aber wenn Du meinst
dagegen aufstehen zu müssen
Wenn Du nicht ja und Amen sagen willst
um darüber zu höhnen
damit Du aufgibst
denn sie wollen Raum gewinnen
sie wollen nicht aufgehalten werden
Sie werden die schönsten Reden benutzen
die glaubwürdigsten Argumente
um Dich unglaubwürdig zu machen
um Dich kaputt zu kriegen
nichts kann sie aufhalten
Aber wisse auch
solange es noch einen Menschen gibt
der ihnen widersteht
solange ist diese Welt
nicht verloren

Karin Jahr

Unbegreifliches Leben
Das Leben ein Wunder
eine Herrlichkeit
Und doch was haben wir
getan dieses Wunder zu
verwirklichen
diese Herrlichkeit zu leben
Sind wir so ohnmächtig und ausgeliefert
Zu oft ist uns das Leben nur Verworrenheit
Angst Trauer Qual Unverstandensein
Uneinsichtigkeit Fernsein und Alleinsein
Auch unser Leben
von Nägeln durchbohrt
unendlich viele Leben
zur Qual aufgehängt

Wir hoffen daß kein Leid vergebens ist
wir glauben daß keine Qual allein ist

Karin Jahr

Friede auf Erden
den Menschen ein Wohlgefallen
Frieden da wo wir leben
auf unserer Erde
Wie weit sind wir
davon entfernt
Auch heute noch
oder heute mehr noch
hassen wir
bekriegen wir
verstümmeln
zerstören
zertreten
zermalmen wir
Wir foltern
wir töten
wir denken uns Grausamkeiten aus
Und dann wieder kommt etwas
ganz anderes hervor
an den Tagen fürs Herz
für die tiefe Sehnsucht in uns
nach dem Frieden
nach dem Sichwohlfühlen
Diese Abgründe in menschlichen Herzen
lassen mich erschauern
Werden wirklich aus gierigen und
tötenden Bestien einmal Menschen
die in Frieden leben können
und Wohlgefallen finden wollen

Karin Jahr

An unserem Ende
werden wir hinübergleiten
oder hinübergezogen
werden wir hinüber wollen
werden wir hier bleiben wollen
an unserem guten Ende
wenn unsere Tage ausgezählt sind
wird es ein gutes Ende sein

Karin Jahr

Wir müssen einen neuen Lebensstil finden
So wie wir jetzt leben richten wir uns
und unser Leben zugrunde
Aber nicht nur das
Unsere jetzige Lebensart
ist die Ursache für den Tod anderer
vieler anderer
Also anders leben damit andere
überleben
Oder gehören wir nicht zu den
Weltschmarotzern
Dabei wünschen sich die meisten von uns
ein noch
immer besseres Leben Wohlleben
Wenn wir anders lebten könnten andere
nicht nur leben oder überleben
mit einem Weniger an Konsum und
an Eindrücken
könnten vielleicht auch wir glücklicher
leben

Karin Jahr

In den letzten Tagen hörte ich oft die Worte
Ich hasse diese Feiertage
Gut daß ich in diesen Tagen arbeiten muß
Wären nur diese Feste gut vorbei
Ich nehme Schlaftabletten um diese Tage
durchzuschlafen
Es ist als rissen in diesen Tagen
all unsere Wunden auf
als hielten sie uns unsere Qualen
besonders deutlich vor Augen
alles Erhoffte und Nichterfüllte
alles Bruchstückhafte
alles Versäumte
alles Verdrängte
Zerquälte
Entbehrte
Der Ruf zur Freude
gleicht unserem Ruf
nach Geborgenheit und Herzensfrieden
nach dem sich wohl alle Menschen sehnen
an hohen Festen mehr denn je

Karin Jahr

Vor verschlossenen Türen stehen
gegen verschlossene Türen rennen
nicht reingelassen werden
draußen bleiben müssen
nicht dazugehörend
allein gelassen
in der Fremde bleibend
dafür aber
Almosen und
schöne Worte bekommend
so ist es ihnen jedenfalls bequemer
den Lieben
den Guten
den braven Frommen
Aber vielleicht erlebe auch ich einmal
dass sich mir die Türen öffnen
ohne dass ich darum bitten musste
dass Tore weit aufgemacht werden
ohne dass ich darum kämpfen musste
dass ich mit Freude erwartet
und
liebevoll in die Arme genommen werde

Karin Jahr

Heute können wir kaum noch als Einsiedler leben
die Zukunft wird dafür sorgen dass wir immer noch
enger zusammenrücken müssen
Dann werden wir uns entweder gegenseitig zerfleischen
und dafür braucht man nicht einmal Krieg oder Waffen
oder wir werden uns gegenseitig das Leben ermöglichen

Also sich gegenseitig das Leben ermöglichen heißt
guten Willens sein
Das bedeutet aber zugleich auch
Stellung zu beziehen
sich zu bekennen
zu ringen
zu kämpfen
für alles Arme
Schwache
Kranke
Unterdrückte

Auf engem Raum zusammenleben unter Ausnutzung
aller Möglichkeiten und Erkenntnisse der noch immer
jungen Wissenschaften von unserem geheimnisvollen
Innenleben
Die Zeit läuft schnell voran

Karin Jahr

Auch wenn es heute wieder
nur ein Traum bleibt
auch wenn ich heute wiederum
an meine Grenzen stoße
auch wenn ich heute
keinen Schritt weiterkomme
auf der Stelle trete
im Keise drehe
im Nebel irre
herum taste
wie eine Blinde
will ich nicht aufgeben
werde ich nicht verzweifeln
trotz alledem
glaube ich
hoffe ich
lebe ich

Karin Jahr

Der Mann aus Galiläa gab uns die Alternative,
er wies uns den Weg aus der Verknotung
unserer Gefühle und Gedanken,
aus der Gesetzlichkeit unseres Tuns und Denkens,
aus der Verhärtung unserer Egoismen,
aus der Begrenztheit unseres Menschseins,
damit wir schöpferisch leben,
nicht gesetzes- und buchstabentreu,
damit wir den Menschen sehen
und nicht eine Institution,
damit wir Liebe sehen
und nicht Perfektion,
denn wir sind für keinen Sabbat da,
sondern die Sabbate sind für uns da.

Karin Jahr

Osterfreude jetzt kann uns nichts
wirklich Schlimmes mehr geschehen
Aller Schmerz jede Verzweiflung und
der Tod gehören unserer vergänglichen
Zeit an
Ostern zerreißt die Enge dieser Zeit
Ostern greift über diese irdische Zeit hinaus
So wagen auch wir über diese Zeit zu greifen
und finden Hoffnung und erfahren Neues

Karin Jahr

Wir wollen alles riskieren
wir wollen Trumpf ausspielen
Nein wir wollen uns nicht
den Bauch voll stopfen
nicht den Kopf vernebeln
nichts riskieren
als Autowildlinge
als rasende Ungeheuer

Lass uns solange uns die Zeit
gegeben ist Trumpf ausspielen
Wir leben wir haben Kraft
wir haben Mut wir fühlen das Leben
wir wissen um die Lebenskraft
wir können unsere Kräfte einsetzen

Komm lass uns Trumpf ausspielen
Was soll uns geschehen in dieser Welt
Die Hand in die wir fallen könnten
in die wir einmal fallen werden
ist die Hand unseres Vaters

Karin Jahr

Die religiöse Erziehung im Religionsunterricht
ist eine wichtige Sache für alle,
die Kinder haben und sich über deren Zukunft Gedanken machen.

Auch in unserer modernen Zeit hat es sich herumgesprochen,
daß junge Menschen mehr als nur Wissenschaften
vermittelt bekommen müssen.
Aber wenn Erziehung sowieso schon ein heikles Kapitel ist,
so ist es religiöse Erziehung erst recht.

Keine noch so perfekte Regelung des Religionsunterrichtes
wird vergessen lassen können,
daß die Redlichkeit im Leben des Erziehers und die Übereinstimmung dessen,
was er glaubt mit dem, was er ist,
die Grundlage und der Anfang jeder religiösen Erziehung sein muß,
sein müßte.

Karin Jahr

In den Augen der Christen der ersten Jahrhunderte war
Häresie vor allem Mangel an brüderlicher Liebe,
nicht so sehr Abweichen von der Rechtgläubigkeit.

Obwohl die Kirche sich gegenwärtig im Sinne
von mehr brüderlicher Liebe zu erneuern sucht —
und ihre Hierarchie könnte wohl nie verschwinden,
ohne daß der ganze Apparat auseinanderfiele —
kann alles Suchen im Kreise verlaufen.

Wenn die Glieder der Kirche zur Erneuerung aufgerufen werden,
sie selber aber keine anderen Wege zu gehen wagen,
als die bereits im festen Rahmen laufenden Wege der Kirche,
wie kann die Kirche dann überhaupt eine Änderung vornehmen?
Man wartet also doch wieder auf Vorschriften von oben,
wenn es um neue Wege geht.

Oder wird es bei uns Menschen geben,
die einfältig und stark genug sind, neue,
unbekannte Richtungen einzuschlagen?

Karin Jahr

Heute läßt man Ehen, die zu einer Hölle geworden sind,
auseinandergehen. Man sieht ein, wie unmenschlich es war,
durch moralischen Druck Menschen leiden zu lassen.
Und diejenigen, die das Sagen haben,
wissen meist nicht einmal,
was für eine schreckliche Art von Hölle so ein Leben sein kann.

Brennend wichtig, heute mehr denn je, ist die Frage:
Wie lebt man danach?
Was für Lebensmöglichkeiten und Hilfen gibt die Kirche Geschiedenen,
vor allem, wenn es sich um noch junge Menschen handelt?
Wird man in Zukunft zugestehen,
noch einmal eine Bindung einzugehen,
oder dürfen diese Menschen nur noch Freundschaften
oder «verbotene» Liebschaften haben?

Wenn die Kirche sich mit dem Lösen so schwer tut,
dann müßte sie sich erst recht mit dem Binden schwer tun,
schwerer als bisher.

Karin Jahr

Pilgern
Unterwegssein
mit meinem Holzschwert
Mein Ziel ist nicht eine Maria
oder eine Mutter
Mein Weg ist das Leben
Und ich begegne allen
Kümmernissen
Alle Qualen berühren mich
Liebe streift mich
und berührt mich
dann geht mein Fuß wieder fester
Ach ich habe
Füße
Arme
einen Mund
Mein Gott geht mit mir
Mein Ziel ist
Leben mit Tod

Karin Jahr

Warum fürchten sich eigentlich so viele von uns
vor neuen Wegen und neuen Formen in unserer Kirche?
Ich will damit nicht den Dauer-Revolutionären nach dem Munde reden.
Aber warum ist man so ängstlich?
Wir werden doch nicht vom Glauben abfallen, wenn wir versuchen,
Entscheidungen zu treffen und aus festgefahrenen,
toten Gleisen zu treten.

Unsere Kirche wäre wohl kaum entstanden,
wären die ersten Christen so zaghaft gewesen,
wie wir es heute sind.

Ich bin überzeugt, daß dort, wo Mut ist, - Mut,
neue, zeitgemäßere, lebensnahe Wege zu gehen,
Mut Entscheidungen zu treffen,
auch Mut, wertvolles Überliefertes für die Zukunft zu bewahren,
- daß dort der Heilige Geist nicht fern sein kann.

Wir sollten jedenfalls unseren Verstand und unser Herz wach halten.

Karin Jahr

Unbegreifliches Leben
Das Leben ein Wunder
eine Herrlichkeit
Und doch was haben wir
getan dieses Wunder zu
verwirklichen
diese Herrlichkeit zu leben
Sind wir so ohnmächtig und ausgeliefert
Zu oft ist uns das Leben nur Verworrenheit
Angst Trauer Qual Unverstandensein
Uneinsichtigkeit Fernsein und Alleinsein
Auch unser Leben
von Nägeln durchbohrt
unendlich viele Leben
zur Qual aufgehängt

Wir hoffen daß kein Leid vergebens ist
wir glauben daß keine Qual allein ist

Karin Jahr

Auf all das Gute unserer katholischen Tradition
sollten wir nicht verzichten in der Zukunft. Wir Menschen brauchen das.

Aber wir werden nach neuen Wegen suchen müssen,
um Kirche und Gemeinde von heute und morgen sein zu können;
eine denkende und aktive Gemeinde.
Obwohl diese Aktivitäten noch eingeübt und erlernt werden müssen.

Also wird Kirche nicht mehr nur Versorgungsinstitut für Taufe,
Hochzeit und Beerdigung sein, sondern Kirche wird das sein,
was wir aus ihr machen.

Karin Jahr

Weil jetzt Advent ist
und die Hoffnung kommt
hören wir auf alles
zu zerreden
zu zerdenken
zu zerbeten
Jetzt ist die Zeit gekommen
zum Einfachsein
zum Einfältigsein
zum Staunen
zum Lieben
Jetzt ist die Zeit gekommen
mit dem Herzen zu schauen
eine Chance richtig zu sehen

Karin Jahr

Ja, wir sollen uns versöhnen, mit allen, vordringlich mit uns selber,
damit wir uns erkennen, uns finden, unsere Möglichkeiten ausloten und
unsere Grenzen sehen und bejahen, mit Gott,
damit wir uns nicht in unserem eigenen frommen Tun spiegeln,
und mit den Menschen nach den Worten
«Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer».

Aber es soll keine oberflächliche Versöhnung sein,
weil wir ja so gute Christen sind,
Versöhnung soll vielmehr Leben ermöglichen.
Und wenn Versöhnung neues Leben ermöglichen soll,
dann muß man zuerst mit Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit Situationen sehen
und bereit sein, Dinge richtigzustellen und zu regeln,
auch wenn es schwierig oder schmerzvoll sein sollte.

Das Image eines Christen, immer brav und gut zu sein,
darf doch einfach nicht stimmen. Denn mit der Bravheit kann man leicht
der anderen Seite dienen, und es soll ja keine Versöhnung
mit dem Bösen vollzogen werden.
Mit anderen Worten, wenn wir uns versöhnen wollen,
wenn wir also neuen Lebensraum schaffen wollen,
müssen wir auch die Geister unterscheiden lernen
und die Dinge richtig sehen können.
Sonst lacht sich die Bosheit ob unserer dummen Bravheit ins Fäustchen.

Wenn wir die richtige Sicht dann haben, sollten allerdings
nicht nur Worte (wie die meinigen) und nicht nur Aufrufe (wie die der Kirche) erfolgen,
sondern wir müssen Taten tun, ohne die alles nur Geschwätz wäre.

Karin Jahr

Unsere Suche nach einem neuen Way of Life
in der Kirche ist recht mühsam.
Es ist schwer, weiter in die Zukunft zu schauen und die Probleme,
die früher oder später auf uns zukommen werden,
zu erkennen und anzugehen.
Viele Fragen sind heute für manche vielleicht noch nicht brennend genug.

Es besteht die Gefahr,
daß wir jetzt nur Flickwerk vollbringen,
wo heute schon die Notwendigkeit da wäre,
bei nüchternem Blick in die Zukunft,
grundlegend neue Schritte zu tun.

Wo wird unsere Kirche in zehn Jahren stehen,
wenn jetzt nichts Entscheidendes getan wird?
Sollten wir eine Kirche vorwiegend von Laien werden?
(Dann aber hoffentlich nicht von Laien
mit theologischer Bildung im Schnellverfahren !)

Karin Jahr

Ich glaube, wir Christen sollten noch erschrecken können.

Wir sollten natürlich nicht erschrecken durch unsere Engstirnigkeit,
Selbstgerechtigkeit oder Eigenliebe, sondern durch unsere Liebe und
Konsequenz in der Liebe, durch unsere Offenheit und Aufgeschlossenheit
anderen und anderem gegenüber.

Wir müßten erschrecken durch unseren Mut,
vielleicht unpopuläre Wege zu gehen,
wenn Situation und Liebe es verlangen.

Denn wir Christen sollten nicht an der Furcht vor den Menschen,
ihren Meinungen oder ihrem Gerede zu erkennen sein,
sondern an unserer Lebenshaltung, die von der Liebe bestimmt ist.

Karin Jahr

Wo sind unsere Schwestern und Brüder
Bei den Jungen
Schönen
Reichen
Erfolgreichen
Tüchtigen
Begünstigten
Anerkannten

Wo finden wir Christus unseren Bruder
Bei den Edlen
den Klugen
den Frommen
den Ästheten
den Rechtssprechern
den Beliebten
bei den Weißwestigen
den Goldumhangenen
bei denen die Zeit haben
zum Studieren
zum Betrachten

Oder bei den Letzten
den Zukurzgekommenen
den Verarbeiteten
den Verkrüppelten
den Verzweifelten
den Armseligen
den ums Überleben Ringenden

Was ihr dem geringsten meiner Brüder
getan habt das habt ihr mir getan
Bei den Geringsten also

Karin Jahr

Wer nicht verändern will, wird auch das verlieren, was er hat.
Dies sind nicht die Worte eines unzufriedenen Jugendlichen,
sondern der scheidende Bundespräsident Heinemann rief sie
der Regierung in seiner Abschiedsrede zu.

Wir in der Kirche sind zwar heutzutage meist bereit zur Veränderung,
unterlassen aber oft neue Schritte, weil wir fürchten, andere zu erschrecken.
Und viele Menschen sind schon zu erschrecken,
wenn ihnen eine Gewohnheit genommen wird.

Es kann doch aber auch heilsames Erschrecken geben.
Waren die ersten Christen für die Menschen damals nicht sehr erschreckend?

Ich glaube, wir Christen sollten noch erschrecken können.

Karin Jahr

Ans Kreuz geschlagen sogar er
den wir Erlöser Menschensohn
Gottessohn nennen
Sogar er hängt
alleingelassen
ausgeliefert
armselig
endgültig
um sterben zu müssen
Auch dieser voll Schmerzen
und Verzweiflung
ohne Ausweichmöglichkeit
vor dem Tod
Oh Gott und wir
Vergiss nicht unsere Schmerzen
unsere Armut unsere Verlassenheit
Zeige uns die Hoffnung
auf das ewige Leben
an das wir glauben wollen

Karin Jahr

Ich will mich mit meiner Kirche,
die doch anfängt,
sich auf den Weg zu machen, versöhnen.

Vielleicht bemerken wir nicht, daß vor dem Ruf
zur Versöhnung zur Erneuerung aufgerufen wird.

Genau genommen ist das der Ruf,
durch den alles möglich werden könnte,
wenn auch wir tatsächlich alle gewillt und beweglich genug wären,
uns zu erneuern.
Erneuern aus Einsichten im Geiste des Evangeliums,
und nicht nur aus dem Zwang der Umstände heraus.

Also nicht nur einige sogenannte Progressisten streben voran!

Ich bin versöhnt mit der Kirche,
weil viele ihrer Glieder nicht mehr mit «frommen Scheuklappen» herumlaufen.
Weil die Hartherzigkeit so oft durchbrochen wird
und Glieder dieser Kirche hundertfach ihre eigene Haut hinhalten —
und wir vergessen leicht, was das heißt — um anderen Menschen Mensch zu sein.
Und weil es Christen gibt,
die nicht vorwiegend daran interessiert sind,
ein «tadelloses Christenleben» zu führen.

Wie viele engagieren sich
und beziehen Stellung für die Schwächeren!

Ich versöhne mich mit der Kirche,
weil es in ihr Menschen gibt,
die mit Andersdenkenden in Ruhe sprechen können
und nicht immer Recht haben müssen,
die den Geist der Armut hochhalten, auch innerhalb der Kirche,
und sich der Armen annehmen,
und für die der Mensch das Wichtigste ist,
nicht Kultur oder Kunst,
und sei sie noch so edel und wertvoll.

Ich bin versöhnt worden durch diesen Geist,
der Kirche nicht zu einem Selbstzweck werden läßt.

Karin Jahr

Es fällt mir tatsächlich nicht leicht,
mich selber in Ordnung zu bringen.
Ich versuche, wenn ich mein Leben überdenke, zu glauben,
daß «denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen».
Damit ist mir versprochen, es kann mir alles, meine Zerrissenheit,
meine Qual und meine Angst, zum Besten dienen.

Es wird mir möglich sein, mich mit mir auszusöhnen,
wenn ich Gott liebe. Obwohl wir oft nicht genau wissen,
ob wir Gott nun lieben.
Aber wie wird mir meine eigene Versöhnung gelingen?
Was muß ich tun,
wenn ich immer wieder in Härte oder Aggressivität flüchte?
Es ist bei uns nicht so sehr das «Böse», was uns quält,
sondern die eigene Zerrissenheit,
das Nichtfinden vom Sinn des Lebens.

Ich muß, um mich nicht betrogen zu fühlen,
zu meiner Begrenzung ja sagen lernen, ohne aber zu vergessen,
daß bei Gott alle Dinge möglich sind, auch in bezug auf mich,
und daß man nie weiß, was man alles kann,
bevor man es versucht.

Vom Grund auf jedoch ist man versöhnt mit sich,
wenn man Liebe erfährt.
Nur das Wagnis der Liebe reißt uns
aus unserer eigenen Enge und Zerrissenheit heraus,
macht uns frei und gibt uns Zukunft.
Wem es geschieht, der hat bereits
ein Stück Himmel auf Erden.

Karin Jahr

Die Welt des Gebetes
ist eine geheimnisvolle Welt
keiner von uns kann sie ermessen
Vielleicht sind auch Wallfahrten
voller Geheimnis
nicht Folklore
kein Gebetsmühlen-Drehen
kein Aberglaube
keine Eitelkeit
keine Rückversicherung
Mich rührt es ans Herz wenn um mich
herum Frömmigkeit ist
Aber ist es nicht auch Gebet
wenn wir mit brennendem Herzen
Leben geben
vorwärts stürmen
Wege suchen
Neues riskieren
in Liebe denken
kurz aus voller Lebenskraft
mit Geist und Körper in die Zukunft gehen
als wären wir Feuer das auf die Erde geworfen wurde

Karin Jahr

Es gibt Menschen,
die allein inmitten einer Welt voller Verwirrungen
wie ein Fels dastehen.

Wenn es aber möglich ist, gleichdenkende Menschen zu finden,
ist es gut, sich zu Gemeinschaften zusammenzufinden.
Man kann sich gegenseitig bestätigen,
sich ermutigen und in müden Stunden
Hoffnung geben bei dem Versuch,
auf eine klare und konsequente Art Christ zu sein.

Man will gemeinsam im Glauben befreit leben.
Aber die Furcht vor der Freiheit steckt wohl in unserer Natur,
so müssen wir uns Sicherungen und Versicherungen geben,
die uns beengen und zu Fesseln werden,
welche wir mitunter zum Götzen erheben.

Wir vergessen, daß Christ-sein frei-sein heißt.

Karin Jahr

Es befindet sich nicht im Himmel . . .
es befindet sich auch nicht jenseits des Meeres . . .
in deinem Herzen befindet es sich,
so daß du es tun kannst.

Ehe der Mut da ist, die Schritte in die Zukunft zu lenken,
müssen wir uns wandeln durch ein neues Denken.
Ein neues Denken sollte uns helfen,
wieder kühner zu werden und die Kühnheit
doch als eine christliche Tugend anzustreben.

Kann man nicht sehen, daß gerade heute Gradlinigkeit,
Konsequenz und Kühnheit christliches Leben
für die Welt glaubhaft machen würde?
Wir sollten nicht immer wieder unsere Mittelmäßigkeit entschuldigen.

Wenn wir aber angefangen haben kühner zu sein,
werden sicher unsere Arme auch gestützt werden.

Karin Jahr

Zu den Zeichen der Zeit gehört es,
daß alle Entwicklungen heute rasend schnell gehen.
Wir müßten elastisch genug sein, dieses Tempo mitzumachen,

- im heiligen Geist, der ja nicht unbedingt langsam sein muß -
damit Kirche heute und morgen möglich ist,
Kirche für uns Menschen.

Sicher wird viel nachgedacht,
aber die «heißen Eisen» werden zu gern auf Eis gelegt,
oder als ein Problem von anderen weggeschoben.
Sind wir aber nicht vorwiegend verantwortlich für die Fragen,
welche all die vielen Menschen beschäftigen,
die sich an der Kirche reiben?

Karin Jahr

Ich erlebe eine Gemeinschaft als christlich,
wenn wir, um den Glauben der anderen wissend,
uns respektieren, gelten lassen,
wenn wir den anderen nicht vereinnahmen,
ihm seine Persönlichkeit lassen können.
Christliche Gemeinschaft heißt für mich als Frau auch,
nicht von Männern
aus Angst, Hochmut, Überheblichkeit
oder warum auch immer
als Mensch zweiter Klasse eingestuft zu werden.
Gleichheit von Mann und Frau also!
Benachteiligung meines Geschlechtes wegen, erlebe ich
nur in der katholischen Kirche.
Christliche Gemeinschaft schließt das aus!
Hier sind wir Menschen, Brüder und Schwestern,
hier brauchen wir auch keine Vaterfigur,
die uns Gesetze aufbürdet,
Vorschriften aufdrückt,
die mit Herzenshärte Vorschriften erläßt,
nicht für den Menschen, sondern für den Erfolg
der Kirche,
hier bleibt unsere Beziehung zu Gott Mittelpunkt
und nicht oberflächliches Gesetzesdenken,
hier wird nicht das Unwesentliche zum Wesentlichen gemacht,
hier kann ich ich selber sein,
hier erlebe ich Geborgenheit miteinander,
hier erleben wir alle Geborgenheit in Gott.

Karin Jahr

Wenn wir wahrhaftige Menschen sein wollen,
müssen wir uns dahingehend umwandeln,
daß unsere Grundhaltung anderen Menschen gegenüber
versöhnlicher wird.

Der Weg zueinander ist einfach eine Notwendigkeit.
Und schon die Lebensklugheit sollte uns gebieten,
an den Satz zu denken:
Was du willst, daß man dir tu, das tu du einem anderen.

Weggehen müssen wir von uns selbst und von unserem eitlen,
«frommen» Tun, mit dem wir uns so oft selbst befriedigen
und auf das wir irrigerweise auch noch stolz sind.
Wir wollen zu dem gehen, der gerade unser Nächster ist.
Wir brauchen im wesentlichen sonst nichts zu tun,
als uns von uns selbst zu lösen,
oder es wenigstens immer wieder zu versuchen,
und hinzugehen zum Bruder.

Wir werden nicht nur dem anderen eine Freude
und Hoffnung geben können,
wir empfangen sie dadurch am stärksten selbst.
Man hat in frühen Zeiten die Christen einmal an ihrer Liebe,
die sie zueinander hatten, erkannt.

Mein Mitmensch ist für mich
also nicht bloß eine Gelegenheit zur Gottesliebe,
sondern die einzige konkrete Möglichkeit, Gottesliebe zu leben.
Und indem wir uns von uns selber wegreißen,
werden wir Menschen werden.

Karin Jahr

Es ist mit dem Glauben ähnlich wie mit der Liebe.

Es genügt eben nicht, alles gut und richtig zu machen und nach den Idealen
oder Gesetzen zu leben. Auch wenn alles zufriedenstellend und
imponierend läuft, kann man dabei vordergründig und hohl werden.

Der Angelpunkt ist wichtig! Wir sollten uns trotz all unserer Tüchtigkeit immer wieder auf den Geist, auf unser Herz und auf die Liebe besinnen.

Was nützten uns all unsere guten Aktivitäten, wenn uns unsere Innigkeit und unsere Spiritualität dabei verloren gingen.

Karin Jahr

wem kann ich
vertrauen
wem kann ich
glauben
von wem werde ich
nicht enttäuscht werden
wer wird
mit mir gehen
wer wird
bei mir bleiben
wollen

Karin Jahr

es gibt nur eine wahrheit
auch im wandel der zeiten
die wahrheit unserer zeit
die wahrheit meines lebens

Karin Jahr

Es ist einfach eine Tatsache, daß die Kirche,
d. h. ihr Volk, das Gehorchen besser gelernt hat
als das Entscheiden, das Festhalten
am Alten besser als das Greifen nach dem Neuen.

Wer wollte glauben,
die Kirche liefe nun mit fliegenden Fahnen in die Zukunft?
Es sind wohl weniger Gottes Mühlen, die langsam mahlen,
als vielmehr die seiner «Schäfchen».
Aber immerhin haben sie ja angefangen zu mahlen.
Mit anderen Worten, das Gespräch ist heute da,
und das ist unsere Hoffnung.
Man wagt, Meinungen auszusprechen und aufeinanderprallen zu lassen.
Und viele haben den guten Willen, Wandlungen vorzunehmen.
Zwar glaubt man im Moment noch vielfach, sich zu versündigen,
wenn man Altes aufgibt.
Die Möglichkeit, sündig zu werden durch ein Nichtergreifen
von Zukunftswegen ist noch nicht so verbreitet.

Wenn wir verwässern sollten in unserer christlichen Haltung,
so hat das mit Sicherheit nichts mit dem Wandel von Formen zu tun!

Karin Jahr

die bösen geister
die verwirrspieler
die verführer
verdreher
angstmacher
schleichen umher
und
wenn wir nicht wach sind
uns nicht treu sind
nicht konsequent sind
dann überfallen sie uns
wie eine krankheit
und versuchen
uns zu verschlingen

Karin Jahr

Sie richten sich ein goldenes Kalb auf
um das sie sich drängen
sie schwärmen für das goldene Kalb
und wollen es berühren
sie bewundern das goldene Kalb
sie hören auf das goldene Kalb
und gehorchen ihm
nein
sie wollen sich nicht
mit ihrem Gott auseinandersetzen
denn das ist beschwerlich
das ist gefährlich und einsam
das kann schmerzhaft und ermüdend sein
Tanzen um das goldene Kalb
Götzendienst

Karin Jahr

Nicht nur zum Jahreswechsel können wir uns einen neuen Anfang setzen,
sondern an jedem Heute könnte ich mich entscheiden,
ein neuer Mensch zu sein.

Es sind-die Mauern, die wir um uns bauen,
die lassen uns unsere Freiheit vergessen und machen uns unbeweglich.

Die Fülle des Lebens bringt mir an jedem Tag alle Möglichkeiten:
heute kann mein Todestag sein, oder es kann der Tag sein,
an dem in mir eine neue Liebe erwacht.

Von den äußeren Umständen werden wir sehr wohl beeinflußt,
genausogut könnten wir aber
in unserer Freiheit unsererseits Entscheidungen treffen.
Unsere Einsichten sind doch meistens groß genug, und die Freiheit,
uns zu wandeln, haben wir, solange wir leben,
was also hindert uns daran, heute einen neuen Anfang zu setzen?
Gerade wir Christen müßten diese Möglichkeit erkannt haben.

Karin Jahr

Wäre Kirche in der Vergangenheit immer christlich gewesen,
so müßten wir uns heute nicht so viele Fragen stellen.
So aber ist das Infragestellen eine Chance zur Besinnung auf das Wesentliche,
auf unser Christsein.

Wenn wir die Kirche von heute vergleichen mit der Kirche vor einigen Jahren,
so können wir begeistert feststellen, wieviel aufrichtiger,
aufgeschlossener, beweglicher und demokratischer sie geworden ist.
Über die Probleme wird gemeinsam nachgedacht und gesprochen,
wie es für eine Gemeinschaft notwendig ist.

Und doch sind wir in dieser Welt, die brennt,
kaum Kirche von heute und bestimmt noch nicht Kirche für morgen.
Christsein im Wandel der Zeiten müßte eigentlich
gar nicht so problematisch sein.

Karin Jahr

Wir müssen unbedingt wieder lernen, lebendig über Glaubensfragen zu sprechen.
Nicht auf diese Art, bei der sich alle Diskussionen im Kreise drehen,
wo man garnicht wirklich sucht, wo man nur sich selber zelebriert.

Unsere Mentalität, negativ, obwohl oft humorvoll, über Gott,
Mitmenschen oder Kirche zu sprechen, sollte sich ändern. Man könnte ja auch,
wenn man bei «charmanten» Gesprächen dieser Art zugegen ist, widersprechen,
einen Kontrapunkt setzen.

Wir sollen wieder über die wesentlichen Fragen reden, ohne zu streiten,
in Zuneigung und einem Gespräch, das uns bereichern kann.

Karin Jahr

Weil ich von Pfarrer XY enttäuscht bin,
will ich von Kirche, Glaube und Gott
nichts mehr wissen.
Das ist die Aussage vieler Menschen,
die der Kirche fernbleiben,
die allein keinen Zugang zu Glaubensfragen finden,
die Kirche, Glaube und Gott in einen Topf werfen.

Wenn ich von Pfarrern, katholischen Fanatikern,
Bischof oder Papst enttäuscht bin,
mache ich jedenfalls noch nicht Schluss
mit der Kirche, denn ich finde Kirche dort,
wo Menschen glauben, denken, fühlen, leben,
suchen ähnlich wie ich.
Menschen, die auch zeitweise traurig, enttäuscht
oder müde werden durch Erlebnisse
mit diesen Kirchenmännern,
deren Beruf es sein sollte,
Hoffnung und Glaubenskraft zu vermitteln.
Aber was haben diese Männer
mit meinem Glauben,
mit meinem Gott zu tun?

Karin Jahr

An unserem Ende
werden wir hinübergleiten
oder hinübergezogen
werden wir hinüber wollen
werden wir hier bleiben wollen
an unserem guten Ende
wenn unsere Tage ausgezählt sind
wird es ein gutes Ende sein

Karin Jahr

Es gibt keine zwei Wahrheiten
Warum müssen wir die Wahrheiten
die wir erkennen
belegen und rechtfertigen
durch die Erkenntnisse von
Wahrheiten
heiliger und bekannter Vorfahren

Es gibt nur eine Wahrheit
auch im Wandel der Zeiten
die Wahrheit unserer Zeit
die Wahrheit meines Lebens

Karin Jahr

Besorgte Stimmen fragen verängstigt:
«Sollen wir denn noch mehr Werte unseres christlichen
Lebens aufgeben?»
Im Gegenteil, wirkliche Werte sollten wir nie aufgeben ;
wir treiben ja keinen Ausverkauf
und verwässert soll auch nichts werden.
Könnten wir nur die Zeichen der Zeit endlich verstehen !
Alles Unchristliche sollten wir aufgeben
oder wenigstens versuchen, es aufzugeben,
damit das Wesentliche wieder wesentlich sein kann
und das Wichtige wieder wichtig ist.
Und wenn die Entwicklung uns nicht überrollen soll,
werden wir nicht umhin kommen,
unser ganzes Leben mit hinein zu werfen
und uns selber zu ändern.
Wir dürfen nicht mehr nur karitativ sein, eitel, reich
und selbstgerecht, sondern wir müssen Stellung beziehen,
einstehen, unsere Meinung sagen und das tun,
was getan werden muß, ohne uns bremsen zu lassen
von unserer Furcht vor Verachtung oder Gerede.
So könnten unsere Herzen auch freier werden
für Ruhe und Ausgeglichenheit.

Karin Jahr

Wir bewundern Menschen,
die für die Wahrheit einstehen und sie bekennen.

Eigentlich würden wir auch gern so sein
und nicht diese eleganten Drückeberger,
diese Diplomaten, diese vorsichtigen,
immer an Frau und Kind, Kirche und Ansehen Denkenden.

In unseren Träumen stehen wir vielleicht auf,
um für die Wahrheit zu sprechen und für sie zu leiden.

Wenn man bedenkt, daß frühe Christen
mit einem einzigen klugen und diplomatischen Wort
dem sicheren Tode hätten entgehen können!

Bei uns geht es zwar nicht direkt um Leben und Tod,
aber immerhin, auch heute und hier könnte man ein Außenseiter werden,
sich vieles verscherzen, wenn man aufhören würde,
diplomatisch und im rechten Moment still zu sein.

So wie Gott Menschen liebt,
die sich zu ihm und zu seiner Wahrheit bekennen,
so braucht ebenfalls die Welt Menschen,
wahrheitsliebend und mit Bekennermut.
Und wir sollten versuchen so zu sein — trotzdem.

Karin Jahr

Wir sollen nach Bethlehem gehn
Noch einmal dorthin
zu dem Kind
Noch einmal hoffen
noch einmal
Mut aufbringen
und weitermachen
nicht resignieren
dennoch versuchen
Noch einmal glauben - daran
Obwohl die Mißverständnisse
wachsen
Haß zunimmt
Parolen dumm machen und
Gefühle aufheizen
Nach Bethlehem
hoffen gehen
Obwohl neue Kriege
und Grausamkeiten
Auferstehung feiern
Böses wie Unkraut wächst
frech und dreist
anderes im Keim erstickend
Was soll ich in Bethlehem
während meine Freunde wegschauen
nicht sehen wollen
sich berauschen
feiern
tanzen
weiter genießen
Werde ich noch einmal
nach Bethlehem gehen
trotz alledem

Karin Jahr

Wenn Du der Vater im Himmel bist
warum siehst Du dann nicht wie ich leide
Warum lässt Du mich in dieser Dunkelheit verzweifeln
Warum öffnest Du mir nicht die Augen
Warum gibst Du mir kein Zeichen
Ich lebe in großer Verzweiflung
ich bin hungrig allein blind und verzagt
Wem soll ich glauben und vertrauen

Karin Jahr

Die Unerträglichsten sind mir die
die anfangs noch freundlich ins Gesicht
aber hinter dem Rücken schon
mit geiferndem Eifer
mich stigmatisieren
Die ihre wirren Phantasien
immer fester selbst daran glaubend
wie an eine Realität
rechts und links verbreiten
die alle anderen überzeugen wollen
mit religiösem Eifer
charismatisch engagiert kämpfend
für ihre fanatische Überzeugung
gewillt dafür in den Krieg zu ziehen
überzeugt von dieser Notwendigkeit
mit zwanghaftem Drang
nicht mehr aufhören könnend
Verfolger sein
bis der andere am Kreuz hängt
auf dem Scheiterhaufen steht
Als wären sie dann erlöst

Noch unerträglicher sind mir die
Pontius Pilatusse
Sich selber schonend
keine Partei ergreifend
so halb und halb
die Hände zur Sicherheit
in Unschuld waschend
Mir graust

Karin Jahr

das böse kommt
im weißen kleid
es gibt sich erhaben
edel und liebenswert
bestechend
vor gutheit
makellos und fein
fehlerfrei
sei auf der hut
vor den guten
verführern
die dich verschlingen
mit einem lächeln
im gesicht

Karin Jahr

ohnmächtig
anderer macht ausgeliefert
nicht selber bestimmen können
tun müssen was andere wollen
was andere befehlen
zusehen müssen
wie ich nicht mehr darf
wie ich nicht mehr kann
niedergezwungen von denen
die am ruder sitzen
und
meiner möglichkeiten beraubt

Karin Jahr

Nur nicht aufmucken
Schön brav sein
in der Linie bleiben
seine Worte abwägen
diplomatisch und angepasst
keine eigene Meinung haben
grau und bequem
Mitläufer
Gleichläufer
Nachläufer
nur kein Risiko eingehen
nur nicht auffallen
So kann mir nichts geschehen
Wahrhaftig
so wird gar nichts geschehen

Karin Jahr

Solange sich gewitzte Schlaumänner
einen Reichtum mit
Waffenhandel
Waffenschiebereien
Waffengeschäften verdienen
ihre kleinen reinen
Waffenzubringerteile produzieren
solange Fanatiker
Völker aufwiegeln
Menschen anheizen
Hass predigen und praktizieren
solange Journalisten sich mit
grausigen Nachrichten
ein goldenes Ei verdienen können
solange Hass Gleichgültigkeit und
Starrsinn in Menschenherzen wohnen
solange ist alles Rufen
nach Frieden vergebens
solange gibt es Wüstenstürme
denn Friede fällt nicht vom Himmel
Friede ist nicht einfach nur zu fordern
in einer ungerechten hitzigen Welt

Karin Jahr

Ohnmächtig
Das heisst
anderer Macht ausgeliefert
nicht über sich bestimmen können
das annehmen müssen was andere wollen
das tun müssen was andere befehlen
Zusehen müssen wie ich nicht mehr kann
wie ich nicht mehr darf
Aushalten dass ich gelähmt wurde
niedergezwungen von denen die Macht besitzen
Zum Schweigen gebracht
meiner Möglichkeiten beraubt
der Ideen beschnitten
Macht hatten die Pharisäer
Macht haben Pharisäer
Der Christus hatte auf Macht verzichtet
Ohne Macht war er nicht diplomatisch
geschickt
kompromissbereit
Er wollte eher sterben sogar
als seiner Sache
als sich
als Gott
auszuweichen

Karin Jahr

macht
und reichtum
sind sie erst dein
wie schnell wirst du dich dann
verändern
wie schnell wirst du
ein anderer werden
es sind die
gefährlichsten verführer
wer kann noch
er selber bleiben
wer bringt es fertig
nicht gefangen zu werden
von diesem
starken gefühl
über andere
macht zu haben
und
reich zu sein

Karin Jahr

Was haben wir hier losgetreten
was ist uns aus der Hand geglitten
welcher Wahnwitz hat von uns Besitz
ergriffen
haben wir uns jetzt zurück entwickelt
zu Steinzeitmenschen
hatten wir nicht von Fortschritt geträumt
glaubten wir nicht an unsere
Menschlichkeit
dachten wir nicht
die Zeiten der Barbarei seien vorüber
und
zugleich turnen vereinzelte
Bessere
Reichere
Auserwählte
wie Schaufensterpuppen
um sich selber
sie fühlen nichts
nur sich selber
sie sehen nichts
nur sich selber
eitel und hohl
wie Schablonen
wie Geister
ohne Geist
wie Menschen
ohne Menschlichkeit

Karin Jahr

ihr fühlt euch
im recht
da ist kein zweifeln
keine infragestellung
eindeutig
einseitig
einfach
keine andere sicht
keine andere seite
ihr jedenfalls
irrt euch nie

Karin Jahr

das schlimmste ist
kinder
zu verführen
sie können lernen
ein gewehr in die hand zu nehmen
ein buschmesser
zu gebrauchen
sie werden
kein gefühl mehr haben
sie werden
keine verantwortung spüren
sie werden gehorsam
und
kaltblütig
quälen
oder
töten
aber
weh dem
der unschuldige kinder
dazu verführt

Karin Jahr

einem jungen menschen
die freiheit nehmen
das freie denken
untersagen
ihn
umpolen
gehirnwäsche
gute argumente haben
glaubhaft
schlüssig
vertrauensvoll sprechen
liebevoll
gutgemeinte
vorschriften machen
was für ein leben

Karin Jahr

Wieder sind Dämonen erwacht
sie machen sich stark
sie sammeln Kräfte
sammeln Gleichgesinnte
sie machen andere zu Gleichgesinnten
sie schweben auf einer Wahnsinnswolke
fühlen sich übermächtig
anders
großartig
nur eines interessiert sie
sie wollen nur noch
für ihre Überzeugung leben
und töten
oder auch sterben
nichts sonst hat einen Wert

sag mir doch einer
was eigentlich läuft in diesen
hirnrissigen Köpfen ab

Karin Jahr

mit worten verführen
können
ganze völker kannst du
mitreissen
wenn du die richtigen
worte findest
wenn du spürst
womit du die menschen
ansprechen kannst
wenn du spürst
was sie sich wünschen
was sie wollen
was sie brauchen
und
wenn sie dann
auf dich hören
kannst du alles
mit ihnen machen
dann ziehen sie
für dich in den krieg
und
vernichten anderes leben
einfach so

Karin Jahr

Es befindet sich nicht im Himmel . . .
es befindet sich auch nicht jenseits des Meeres . . .
in deinem Herzen befindet es sich,
so daß du es tun kannst.

Ehe der Mut da ist, die Schritte in die Zukunft zu lenken,
müssen wir uns wandeln durch ein neues Denken.
Ein neues Denken sollte uns helfen,
wieder kühner zu werden und die Kühnheit
doch als eine christliche Tugend anzustreben.

Kann man nicht sehen, daß gerade heute Gradlinigkeit,
Konsequenz und Kühnheit christliches Leben
für die Welt glaubhaft machen würde?
Wir sollten nicht immer wieder unsere Mittelmäßigkeit entschuldigen.

Wenn wir aber angefangen haben kühner zu sein,
werden sicher unsere Arme auch gestützt werden.

Karin Jahr

Ich glaube, wir Christen sollten noch erschrecken können.

Wir sollten natürlich nicht erschrecken durch unsere Engstirnigkeit,
Selbstgerechtigkeit oder Eigenliebe, sondern durch unsere Liebe und
Konsequenz in der Liebe, durch unsere Offenheit und Aufgeschlossenheit
anderen und anderem gegenüber.

Wir müßten erschrecken durch unseren Mut,
vielleicht unpopuläre Wege zu gehen,
wenn Situation und Liebe es verlangen.

Denn wir Christen sollten nicht an der Furcht vor den Menschen,
ihren Meinungen oder ihrem Gerede zu erkennen sein,
sondern an unserer Lebenshaltung, die von der Liebe bestimmt ist.

Karin Jahr

Warum fürchten sich eigentlich so viele von uns
vor neuen Wegen und neuen Formen in unserer Kirche?
Ich will damit nicht den Dauer-Revolutionären nach dem Munde reden.
Aber warum ist man so ängstlich?
Wir werden doch nicht vom Glauben abfallen, wenn wir versuchen,
Entscheidungen zu treffen und aus festgefahrenen,
toten Gleisen zu treten.

Unsere Kirche wäre wohl kaum entstanden,
wären die ersten Christen so zaghaft gewesen,
wie wir es heute sind.

Ich bin überzeugt, daß dort, wo Mut ist, — Mut,
neue, zeitgemäßere, lebensnahe Wege zu gehen,
Mut Entscheidungen zu treffen,
auch Mut, wertvolles Überliefertes für die Zukunft zu bewahren,
— daß dort der Heilige Geist nicht fern sein kann.

Wir sollten jedenfalls unseren Verstand und unser Herz wach halten.

Karin Jahr

Weil ich von Pfarrer XY enttäuscht bin,
will ich von Kirche, Glaube und Gott
nichts mehr wissen.
Das ist die Aussage vieler Menschen,
die der Kirche fernbleiben,
die allein keinen Zugang zu Glaubensfragen finden,
die Kirche, Glaube und Gott in einen Topf werfen.

Wenn ich von Pfarrern, katholischen Fanatikern,
Bischof oder Papst enttäuscht bin,
mache ich jedenfalls noch nicht Schluss
mit der Kirche, denn ich finde Kirche dort,
wo Menschen glauben, denken, fühlen, leben,
suchen ähnlich wie ich.
Menschen, die auch zeitweise traurig, enttäuscht
oder müde werden durch Erlebnisse
mit diesen Kirchenmännern,
deren Beruf es sein sollte,
Hoffnung und Glaubenskraft zu vermitteln.
Aber was haben diese Männer
mit meinem Glauben,
mit meinem Gott zu tun?

Karin Jahr

Heute läßt man Ehen, die zu einer Hölle geworden sind,
auseinandergehen. Man sieht ein, wie unmenschlich es war,
durch moralischen Druck Menschen leiden zu lassen.
Und diejenigen, die das Sagen haben,
wissen meist nicht einmal,
was für eine schreckliche Art von Hölle so ein Leben sein kann.

Brennend wichtig, heute mehr denn je, ist die Frage:
Wie lebt man danach?
Was für Lebensmöglichkeiten und Hilfen gibt die Kirche Geschiedenen,
vor allem, wenn es sich um noch junge Menschen handelt?
Wird man in Zukunft zugestehen,
noch einmal eine Bindung einzugehen,
oder dürfen diese Menschen nur noch Freundschaften
oder «verbotene» Liebschaften haben?

Wenn die Kirche sich mit dem Lösen so schwer tut,
dann müßte sie sich erst recht mit dem Binden schwer tun,
schwerer als bisher.

Karin Jahr

Wenn Petrus, der erste Papst
durch Angstmacherei auf seine Gemeinde
Druck ausgeübt hatte, so war das nur
der Anfang einer ganzen Angstgeschichte.
Die Kirche, die zu einer Macht wuchs,
und die diese Macht halten wollte,
ließ sie den guten Gott nicht zu
einem toten Inventar erstarren?
Wurde nicht die Moral an die Stelle
Gottes gerückt?
Immer mehr Verbote und Gebote
wurden aufgestellt.
Die Abhängigkeit und die Angst,
etwas falsch zu machen, wuchsen.
Und wenn irdische Strafen schon
Angst machen konnten,
Wieviel tiefer wurde diese Angst,
wenn mit ewiger Verdammnis
gedroht werden konnte.
Ein Leben begleitet oder durchdrungen
von tiefen Ängsten,
war das die frohe Botschaft?

Karin Jahr

Jetzt ist ja alles wieder gut
Nun ist alles wie früher
Wir bekommen gesagt was gut und was böse ist
Was für mich gut ist
Was für meinen Bruder gut ist
Was für die Menschen gut ist
Strenge und Prinzipien
Forderungen und Moral
Der Jesus aus Nazareth sprach so
Wollte er eine Kirche konsequent
mit aller Macht und Strenge
Eine Großsekte
Persönliche Verantwortung nicht mehr gefragt
Persönliche Entscheidungen nicht mehr gefragt
Eigenes Denken nicht mehr gefragt
Eigenes Suchen nicht mehr gefragt
Wir wollten gerade lernen
erwachsen zu leben
wir wollten anfangen uns zu öffnen
für unsere Gefühle
für unsere Mitmenschen
zu Gott
Wem das eigene Suchen und Tun
zu anstrengend und zu gefährlich war
der flieht zurück ins Kirchenreich
Hier denkt ein hoher Herr für ihn
Kirche befiehl wir folgen
Oder willst du nicht folgen
willst du selber verantwortlich bleiben

Karin Jahr

Die religiöse Erziehung im Religionsunterricht
ist eine wichtige Sache für alle,
die Kinder haben und sich über deren Zukunft Gedanken machen.

Auch in unserer modernen Zeit hat es sich herumgesprochen,
daß junge Menschen mehr als nur Wissenschaften
vermittelt bekommen müssen.
Aber wenn Erziehung sowieso schon ein heikles Kapitel ist,
so ist es religiöse Erziehung erst recht.

Keine noch so perfekte Regelung des Religionsunterrichtes
wird vergessen lassen können,
daß die Redlichkeit im Leben des Erziehers und die Übereinstimmung dessen,
was er glaubt mit dem, was er ist,
die Grundlage und der Anfang jeder religiösen Erziehung sein muß,
sein müßte.

Karin Jahr

BERATEN - HELFEN

Nicht der Pfarrer ist der gute Berater,
der ja selber ein gestörtes Verhältnis
zu Partnerschaft, Liebe und Ehe hat!
Er sieht Ehe idealisiert einerseits,
funktionieren müssend andererseits.

Dringend benötigt
für Menschen in seelischer Not:
Beratungsstellen
Gesprächspartner
Familientherapeuten
Familienberatung
Eheberatung
Präventives Lernen
Lernen zu streiten
Lernen über Probleme zu sprechen
Lernen mit Problemen umzugehen
Lernen Entscheidungen zu treffen.
Nicht sentimentales Mitfühlen
oder moralisches Zureden
ist gefragt.

Karin Jahr

Eitelkeit macht uns hohl.
Weniger die Eitelkeit dieser Welt,
eine viel schlimmere Eitelkeit,
die uns durchdringt, wie eine Krebsgeschwulst,
die wir nicht spüren, aber die uns tötet.
Es ist die Eitelkeit des Herzens, des Geistes.
Sie versucht, das Gute zu benutzen
und kehrt es dabei ins Gegenteil.
Weil die christliche Lehre alles Positive
als Essenz enthält, ist gerade hier
die größte Verkehrung möglich.
Das Gute wird Eitelkeit im Herzen
und eitel im Tun — merkten wir es nur !

Karin Jahr

Auf all das Gute unserer katholischen Tradition
sollten wir nicht verzichten in der Zukunft. Wir Menschen brauchen das.

Aber wir werden nach neuen Wegen suchen müssen,
um Kirche und Gemeinde von heute und morgen sein zu können;
eine denkende und aktive Gemeinde.
Obwohl diese Aktivitäten noch eingeübt und erlernt werden müssen.

Also wird Kirche nicht mehr nur Versorgungsinstitut für Taufe,
Hochzeit und Beerdigung sein, sondern Kirche wird das sein,
was wir aus ihr machen.

Karin Jahr

Es ist einfach eine Tatsache, daß die Kirche,
d. h. ihr Volk, das Gehorchen besser gelernt hat
als das Entscheiden, das Festhalten
am Alten besser als das Greifen nach dem Neuen.

Wer wollte glauben,
die Kirche liefe nun mit fliegenden Fahnen in die Zukunft?
Es sind wohl weniger Gottes Mühlen, die langsam mahlen,
als vielmehr die seiner «Schäfchen».
Aber immerhin haben sie ja angefangen zu mahlen.
Mit anderen Worten, das Gespräch ist heute da,
und das ist unsere Hoffnung.
Man wagt, Meinungen auszusprechen und aufeinanderprallen zu lassen.
Und viele haben den guten Willen, Wandlungen vorzunehmen.
Zwar glaubt man im Moment noch vielfach, sich zu versündigen,
wenn man Altes aufgibt.
Die Möglichkeit, sündig zu werden durch ein Nichtergreifen
von Zukunftswegen ist noch nicht so verbreitet.

Wenn wir verwässern sollten in unserer christlichen Haltung,
so hat das mit Sicherheit nichts mit dem Wandel von Formen zu tun!

Karin Jahr

Frauen und «Mutter» Kirche

Theoretisch ist die Frau heute gleichberechtigt,
sie hat die gleichen Rechte und die gleichen
Pflichten,
sie hat gleiche Möglichkeiten - auch, wenn sie sie
nicht nützt.
"Mutter" Kirche macht da eine Ausnahme.
Bei ihr sind Frauen noch immer unterprivilegiert.
Berufliche Möglichkeiten, Ämter, Macht und Herr-
schaft
sind fest in männlicher Hand.
Da ist keine Chance für eine Frau,
dort wird sie gegen Mauern rennen,
wenn sie etwas verändern will,
denn mit starrköpfigem Egoismus
halten sich Kirchenmänner alles Weibliche
vom Leibe.
In dem Maße, in dem ihnen Sexualität, Weiblichkeit
und Partnerschaft Angst machen,
in dem Maße unterdrücken sie jede Gleichberechti-
gung
dort, wo sie das Sagen haben.
Und darin sind sich Glaubenspatriarchen eins,
egal ob christkatholisch, mohamedanisch oder jü-
disch.
Und wenn diese Männer sich dann noch auf
Gottes Willen berufen, verblassen alle Argumente,
dann bleibt für eine Frau nichts mehr zu sagen,
dann ist es wie in einer schlechten Ehe!
Aber gebraucht werden die Frauen in der Kirche!
Ohne Frauen wären die Kirchen leer.
All die kleinen Dinge, mit denen keine Ehre ein-
zulegen ist,
die einfach Mühe und Arbeit kosten, wären nicht
mehr getan.
Für diese niederen Arbeiten brauchen sie uns
Heinzelfrauen.
Und darum erzählen sie uns, wie gut und heilig
solches Tun ist.
Wenn nun dieses Dienen so gut und heilig ist,
warum wollen die Männer nicht endlich
diese Chance zur Heiligkeit nutzen?
Ist es nicht Frauenfängerei, wenn Kirchenväter
erklären,
sie setzen sich für die Rechte der Frauen ein?
Einsetzen, damit die Frauen bei der Stange blei-
ben,
damit sie sich Hoffnung machen,
damit sie die primitiven Arbeiten weiter tun,
die die Männer nicht tun wollen und
damit sie die Kirchen füllen.
Warum bleiben wir Frauen noch in dieser Männer-
kirche?

Karin Jahr

Ich will mich mit meiner Kirche,
die doch anfängt,
sich auf den Weg zu machen, versöhnen.

Vielleicht bemerken wir nicht, daß vor dem Ruf
zur Versöhnung zur Erneuerung aufgerufen wird.

Genau genommen ist das der Ruf,
durch den alles möglich werden könnte,
wenn auch wir tatsächlich alle gewillt und beweglich genug wären,
uns zu erneuern.
Erneuern aus Einsichten im Geiste des Evangeliums,
und nicht nur aus dem Zwang der Umstände heraus.

Also nicht nur einige sogenannte Progressisten streben voran!

Ich bin versöhnt mit der Kirche,
weil viele ihrer Glieder nicht mehr mit «frommen Scheuklappen» herumlaufen.
Weil die Hartherzigkeit so oft durchbrochen wird
und Glieder dieser Kirche hundertfach ihre eigene Haut hinhalten —
und wir vergessen leicht, was das heißt — um anderen Menschen Mensch zu sein.
Und weil es Christen gibt,
die nicht vorwiegend daran interessiert sind,
ein «tadelloses Christenleben» zu führen.

Wie viele engagieren sich
und beziehen Stellung für die Schwächeren!

Ich versöhne mich mit der Kirche,
weil es in ihr Menschen gibt,
die mit Andersdenkenden in Ruhe sprechen können
und nicht immer Recht haben müssen,
die den Geist der Armut hochhalten, auch innerhalb der Kirche,
und sich der Armen annehmen,
und für die der Mensch das Wichtigste ist,
nicht Kultur oder Kunst,
und sei sie noch so edel und wertvoll.

Ich bin versöhnt worden durch diesen Geist,
der Kirche nicht zu einem Selbstzweck werden läßt.

Karin Jahr

Wer nicht verändern will, wird auch das verlieren, was er hat.
Dies sind nicht die Worte eines unzufriedenen Jugendlichen,
sondern der scheidende Bundespräsident Heinemann rief sie
der Regierung in seiner Abschiedsrede zu.

Wir in der Kirche sind zwar heutzutage meist bereit zur Veränderung,
unterlassen aber oft neue Schritte, weil wir fürchten, andere zu erschrecken.
Und viele Menschen sind schon zu erschrecken,
wenn ihnen eine Gewohnheit genommen wird.

Es kann doch aber auch heilsames Erschrecken geben.
Waren die ersten Christen für die Menschen damals nicht sehr erschreckend?

Ich glaube, wir Christen sollten noch erschrecken können.

Karin Jahr

Wir bewundern Menschen,
die für die Wahrheit einstehen und sie bekennen.

Eigentlich würden wir auch gern so sein
und nicht diese eleganten Drückeberger,
diese Diplomaten, diese vorsichtigen,
immer an Frau und Kind, Kirche und Ansehen Denkenden.

In unseren Träumen stehen wir vielleicht auf,
um für die Wahrheit zu sprechen und für sie zu leiden.

Wenn man bedenkt, daß frühe Christen
mit einem einzigen klugen und diplomatischen Wort
dem sicheren Tode hätten entgehen können!

Bei uns geht es zwar nicht direkt um Leben und Tod,
aber immerhin, auch heute und hier könnte man ein Außenseiter werden,
sich vieles verscherzen, wenn man aufhören würde,
diplomatisch und im rechten Moment still zu sein.

So wie Gott Menschen liebt,
die sich zu ihm und zu seiner Wahrheit bekennen,
so braucht ebenfalls die Welt Menschen,
wahrheitsliebend und mit Bekennermut.
Und wir sollten versuchen so zu sein — trotzdem.

Karin Jahr

Wieviel Angst muß hier und dort
bei religiös fanatischen Männern
verborgen sein!
Angst um ihre Machtpositionen,
aber auch Ängste ihrer eigenen
unverarbeiteten
verdrängten
unterdrückten
pervertierten
lieblosen Sexualität
wenn sie Frauen auspeitschen lassen
weil sie am Meer badeten,
wenn sie Frauen wieder in dichte Tücher hüllen
und ihre Gesichter verschleiern lassen,
wenn sie jeder Frau den Zugang zu Macht
und Verantwortung untersagen,
wenn sie Gebote aufstellen - und diese
mit schönen Worten rechtfertigen wollen -,
daß Frauen und Mädchen schön brav und lieb
im Kämmerlein bleiben, wo sie den Hern Mann
verwöhnen und ihm Gutes tun sollen.
Nur nicht der "Versuchung der Freiheit erliegen ... "
(ein Jesuit im LW "zum nachdenken")
Als Frau in unserer Kirche
muß ich entweder kämpfen
oder mich unterdrücken lassen
oder gehen.

Karin Jahr

Kennt ihr die Priestermütter, die ihr Leben lang
für den Sohn da sind, die kochen, waschen, putzen,
ihr grosses Kind verwöhnen und immer da sind?

Und die Kirche gibt ihren Segen dazu.

Der Sohn, den Jahren nach könnte er selber
Vater oder Grossvater sein, nimmt die Versorgung
gerne an. Es ist praktisch und bequem, sich versorgen,
verwöhnen, bekochen, bewaschen zu lassen.
Er kann sich für die grossen Dinge des Lebens
freihalten. (Eine berufstätige Frau müsste und
könnte sich mit der linken Hand versorgen.)

Und die Kirche gibt ihren Segen dazu.

Dieses Mutter-Sohn-Verhältnis geht tiefer.
Die Mutter ist ihm alles, auch wenn er mit ihr
streitet. Der Sohn ist ihr das Wichtigste,
nicht erst wenn sie Witwe ist.
Ganz selbstlos ist sie auch nicht. Versorgen macht
abhängig und bindet. Sie bleibt an den grossartigen,
bewundernswerten Sohn gebunden. Sie kann auf
ihn aufpassen, dass ihm nichts Böses aus der
Erwachsenenwelt geschieht, sie kann ihn fest
beim Guten halten, so bekommt sie ein wenig Abglanz mit.

Und die Kirche gibt ihren Segen dazu.

Erwachsenwerden heisst sich abnabeln,
auch für einen Priester,
von der Mutter loskommen,
nicht mehr an ihrem Rockzipfel hängen.
Erwachsenwerden ist schwer auch für einen Priester,
loslassen ist schwer auch für eine Priestermutter,
nicht für den Sohn leben, gilt auch für sie.

Solange Priester so häufig neurotische Verhältnisse
zu ihrer Mutter haben, braucht sich die Kirche
jedenfalls keine Sorge um das Priesterzölibat zu machen.

Karin Jahr

Besorgte Stimmen fragen verängstigt:
«Sollen wir denn noch mehr Werte unseres christlichen
Lebens aufgeben?»
Im Gegenteil, wirkliche Werte sollten wir nie aufgeben ;
wir treiben ja keinen Ausverkauf
und verwässert soll auch nichts werden.
Könnten wir nur die Zeichen der Zeit endlich verstehen !
Alles Unchristliche sollten wir aufgeben
oder wenigstens versuchen, es aufzugeben,
damit das Wesentliche wieder wesentlich sein kann
und das Wichtige wieder wichtig ist.
Und wenn die Entwicklung uns nicht überrollen soll,
werden wir nicht umhin kommen,
unser ganzes Leben mit hinein zu werfen
und uns selber zu ändern.
Wir dürfen nicht mehr nur karitativ sein, eitel, reich
und selbstgerecht, sondern wir müssen Stellung beziehen,
einstehen, unsere Meinung sagen und das tun,
was getan werden muß, ohne uns bremsen zu lassen
von unserer Furcht vor Verachtung oder Gerede.
So könnten unsere Herzen auch freier werden
für Ruhe und Ausgeglichenheit.

Karin Jahr

Die Welt des Gebetes
ist eine geheimnisvolle Welt
keiner von uns kann sie ermessen
Vielleicht sind auch Wallfahrten
voller Geheimnis
nicht Folklore
kein Gebetsmühlen-Drehen
kein Aberglaube
keine Eitelkeit
keine Rückversicherung
Mich rührt es ans Herz wenn um mich
herum Frömmigkeit ist
Aber ist es nicht auch Gebet
wenn wir mit brennendem Herzen
Leben geben
vorwärts stürmen
Wege suchen
Neues riskieren
in Liebe denken
kurz aus voller Lebenskraft
mit Geist und Körper in die Zukunft gehen
als wären wir Feuer das auf die Erde geworfen wurde

Karin Jahr

Zu den Zeichen der Zeit gehört es,
daß alle Entwicklungen heute rasend schnell gehen.
Wir müßten elastisch genug sein, dieses Tempo mitzumachen,

— im heiligen Geist, der ja nicht nbedingt langsam sein muß —
damit Kirche heute und morgen möglich ist,
Kirche für uns Menschen.

Sicher wird viel nachgedacht,
aber die «heißen Eisen» werden zu gern auf Eis gelegt,
oder als ein Problem von anderen weggeschoben.
Sind wir aber nicht vorwiegend verantwortlich für die Fragen,
welche all die vielen Menschen beschäftigen,
die sich an der Kirche reiben?

Karin Jahr

Wäre Kirche in der Vergangenheit immer christlich gewesen,
so müßten wir uns heute nicht so viele Fragen stellen.
So aber ist das Infragestellen eine Chance zur Besinnung auf das Wesentliche,
auf unser Christsein.

Wenn wir die Kirche von heute vergleichen mit der Kirche vor einigen Jahren,
so können wir begeistert feststellen, wieviel aufrichtiger,
aufgeschlossener, beweglicher und demokratischer sie geworden ist.
Über die Probleme wird gemeinsam nachgedacht und gesprochen,
wie es für eine Gemeinschaft notwendig ist.

Und doch sind wir in dieser Welt, die brennt,
kaum Kirche von heute und bestimmt noch nicht Kirche für morgen.
Christsein im Wandel der Zeiten müßte eigentlich
gar nicht so problematisch sein.

Karin Jahr

Warum denn verharren die Frauen
noch in der Kirche
Warum lassen sie es zu
daß sie noch immer die
lieben guten hilfreichen
Helferinnen sind
Und die Macht Herrschaft
und Herrlichkeit
gehört den Männern
Heute ist die Frau politisch
gleichberechtigt
sie ist gleich vor dem Gesetz
sie hat die gleichen Rechte
und die gleichen Pflichten
Sie hat die gleichen Möglichkeiten
Nur die „Mutter" Kirche
sie ist nicht für Gleichheit
Ist es nicht Frauenfängerei
wenn Kirchenväter lautstark erklären
sie setzten sich für die Rechte der Frauen ein
Einsetzen damit die Frauen dabei bleiben
damit sie sich Hoffnungen machen
damit sie die Arbeiten tun
die Männer nicht tun wollen
damit sie die Kirche füllen
Immer jedoch heißt es
Bis hierher und nicht weiter

Karin Jahr

Zum Papstbesuch in Luxemburg
gab es eigentlich nur eine einzige
öffentliche Meinung;
eine papstfreundliche,
damit war auch gemeint,
rechtgläubig,
positiv,
katholisch.
Jede kritische Stimme war zum
Schweigen gebracht worden.
Nicht nur die ewigen "Nein-sager",
die Nörgler, denen nichts passt,
sondern Rufer, die eine eigene Meinung
verantworten wollten.
Auch sie wurden zum Schweigen verurteilt,
denn eine andere Meinung haben,
nicht konforme Gedanken äussern,
das hiess so etwas wie,
zur Revolution anstiften,
aufrühren,
zum Bösen anstacheln.
Undenkbar, dass die Überlegungen von
Andersdenkenden ernst genommen werden durften,
wo solche "Verräter" sich noch anmaßten
und sich Christen nannten:
Nein, da war kein Pardon,
eine andere Meinung zu haben,
als die bewilligte, uniforme,
abgesegnete, das war höchst gefährlich,
das musste untersagt werden.
Und wir massen uns an, uns über den Ostblock
zu empören, wenn dort Gegner des dortigen
Triumphalismus, Andersdenkende,
nicht Uniforme, in Schwierigkeiten geraten:
Als wären wir anders:
Würde nicht so manch einer, auch bei uns,
am liebsten,
wenn es nur ginge,
Andersdenkende in eine psychiatrische Klinik
stecken?

Karin Jahr

Ja, wir sollen uns versöhnen, mit allen, vordringlich mit uns selber,
damit wir uns erkennen, uns finden, unsere Möglichkeiten ausloten und
unsere Grenzen sehen und bejahen, mit Gott,
damit wir uns nicht in unserem eigenen frommen Tun spiegeln,
und mit den Menschen nach den Worten
«Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer».

Aber es soll keine oberflächliche Versöhnung sein,
weil wir ja so gute Christen sind,
Versöhnung soll vielmehr Leben ermöglichen.
Und wenn Versöhnung neues Leben ermöglichen soll,
dann muß man zuerst mit Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit Situationen sehen
und bereit sein, Dinge richtigzustellen und zu regeln,
auch wenn es schwierig oder schmerzvoll sein sollte.

Das Image eines Christen, immer brav und gut zu sein,
darf doch einfach nicht stimmen. Denn mit der Bravheit kann man leicht
der anderen Seite dienen, und es soll ja keine Versöhnung
mit dem Bösen vollzogen werden.
Mit anderen Worten, wenn wir uns versöhnen wollen,
wenn wir also neuen Lebensraum schaffen wollen,
müssen wir auch die Geister unterscheiden lernen
und die Dinge richtig sehen können.
Sonst lacht sich die Bosheit ob unserer dummen Bravheit ins Fäustchen.

Wenn wir die richtige Sicht dann haben, sollten allerdings
nicht nur Worte (wie die meinigen) und nicht nur Aufrufe (wie die der Kirche) erfolgen,
sondern wir müssen Taten tun, ohne die alles nur Geschwätz wäre.

Karin Jahr

Heute wichtiger denn je
Wir brauchen
mündige Christen
erwachsene Christen
nicht angepasste
verantwortungsvolle
denkende Menschen
nicht Mitläufer
besorgte Stilltuer
ängstliche Buckelmacher
Wir brauchen
Menschen die weiterdenken
die neu denken
die über sich hinaus denken

Karin Jahr

Eitelkeit macht uns hohl
Weniger die Eitelkeit dieser Welt
eine viel schlimmere Eitelkeit
die uns durchdringt wie eine Krebsgeschwulst
die wir nicht spüren aber die uns tötet
Es ist die Eitelkeit des Herzens des Geistes
Sie versucht das Gute zu benutzen
und kehrt es dabei ins Gegenteil
Weil die christliche Lehre alles Positive
als Essenz enthält ist gerade hier
die größte Verkehrung möglich
Das Gute wird Eitelkeit im Herzen
und eitel im Tun merkten wir es nur

Karin Jahr

Wir müssen unbedingt wieder lernen, lebendig über Glaubensfragen zu sprechen.
Nicht auf diese Art, bei der sich alle Diskussionen im Kreise drehen,
wo man garnicht wirklich sucht, wo man nur sich selber zelebriert.

Unsere Mentalität, negativ, obwohl oft humorvoll, über Gott,
Mitmenschen oder Kirche zu sprechen, sollte sich ändern. Man könnte ja auch,
wenn man bei «charmanten» Gesprächen dieser Art zugegen ist, widersprechen,
einen Kontrapunkt setzen.

Wir sollen wieder über die wesentlichen Fragen reden, ohne zu streiten,
in Zuneigung und einem Gespräch, das uns bereichern kann.

Karin Jahr

Nicht nur zum Jahreswechsel können wir uns einen neuen Anfang setzen,
sondern an jedem Heute könnte ich mich entscheiden,
ein neuer Mensch zu sein.

Es sind-die Mauern, die wir um uns bauen,
die lassen uns unsere Freiheit vergessen und machen uns unbeweglich.

Die Fülle des Lebens bringt mir an jedem Tag alle Möglichkeiten:
heute kann mein Todestag sein, oder es kann der Tag sein,
an dem in mir eine neue Liebe erwacht.

Von den äußeren Umständen werden wir sehr wohl beeinflußt,
genausogut könnten wir aber
in unserer Freiheit unsererseits Entscheidungen treffen.
Unsere Einsichten sind doch meistens groß genug, und die Freiheit,
uns zu wandeln, haben wir, solange wir leben,
was also hindert uns daran, heute einen neuen Anfang zu setzen?
Gerade wir Christen müßten diese Möglichkeit erkannt haben.

Karin Jahr

Ich erlebe eine Gemeinschaft als christlich,
wenn wir, um den Glauben der anderen wissend,
uns respektieren, gelten lassen,
wenn wir den anderen nicht vereinnahmen,
ihm seine Persönlichkeit lassen können.
Christliche Gemeinschaft heißt für mich als Frau auch,
nicht von Männern
aus Angst, Hochmut, Überheblichkeit
oder warum auch immer
als Mensch zweiter Klasse eingestuft zu werden.
Gleichheit von Mann und Frau also!
Benachteiligung meines Geschlechtes wegen, erlebe ich
nur in der katholischen Kirche.
Christliche Gemeinschaft schließt das aus!
Hier sind wir Menschen, Brüder und Schwestern,
hier brauchen wir auch keine Vaterfigur,
die uns Gesetze aufbürdet,
Vorschriften aufdrückt,
die mit Herzenshärte Vorschriften erläßt,
nicht für den Menschen, sondern für den Erfolg
der Kirche,
hier bleibt unsere Beziehung zu Gott Mittelpunkt
und nicht oberflächliches Gesetzesdenken,
hier wird nicht das Unwesentliche zum Wesentlichen gemacht,
hier kann ich ich selber sein,
hier erlebe ich Geborgenheit miteinander,
hier erleben wir alle Geborgenheit in Gott.

Karin Jahr

Unsere Suche nach einem neuen Way of Life
in der Kirche ist recht mühsam.
Es ist schwer, weiter in die Zukunft zu schauen und die Probleme,
die früher oder später auf uns zukommen werden,
zu erkennen und anzugehen.
Viele Fragen sind heute für manche vielleicht noch nicht brennend genug.

Es besteht die Gefahr,
daß wir jetzt nur Flickwerk vollbringen,
wo heute schon die Notwendigkeit da wäre,
bei nüchternem Blick in die Zukunft,
grundlegend neue Schritte zu tun.

Wo wird unsere Kirche in zehn Jahren stehen,
wenn jetzt nichts Entscheidendes getan wird?
Sollten wir eine Kirche vorwiegend von Laien werden?
(Dann aber hoffentlich nicht von Laien
mit theologischer Bildung im Schnellverfahren !)

Karin Jahr

In den Augen der Christen der ersten Jahrhunderte war
Häresie vor allem Mangel an brüderlicher Liebe,
nicht so sehr Abweichen von der Rechtgläubigkeit.

Obwohl die Kirche sich gegenwärtig im Sinne
von mehr brüderlicher Liebe zu erneuern sucht —
und ihre Hierarchie könnte wohl nie verschwinden,
ohne daß der ganze Apparat auseinanderfiele —
kann alles Suchen im Kreise verlaufen.

Wenn die Glieder der Kirche zur Erneuerung aufgerufen werden,
sie selber aber keine anderen Wege zu gehen wagen,
als die bereits im festen Rahmen laufenden Wege der Kirche,
wie kann die Kirche dann überhaupt eine Änderung vornehmen?
Man wartet also doch wieder auf Vorschriften von oben,
wenn es um neue Wege geht.

Oder wird es bei uns Menschen geben,
die einfältig und stark genug sind, neue,
unbekannte Richtungen einzuschlagen?

Karin Jahr